Hausbesuch

Lauschpöhle: Geschichten aus dem Bauernland zum Kurbeln

„Kurbeln! Du musst kurbeln! Länger!“

Im Schmallenberger Sauerland ist Handarbeit gefragt: 20 Säulen mit Hörstationen sind im Bauernland am Rande von Wanderwegen verteilt. Das Bauernland umfasst siebzehn Dörfer und ist zugleich der Name des Heimat-und Verkehrsvereins, der dieses Projekt geplant und umgesetzt hat. Katja Lutter und Andre Voss vom Heimat- und Verkehrsverein Bauernland haben sich für Konzeption und Umsetzung der Hörgeschichten Britta Freith an die Seite geholt. Durch Britta wurde ich, Wibke, bei Twitter auf das Projekt aufmerksam – und merkte auf: Sauerland (Heimat, woll?!), Wandern, Geschichten und das von und mit Britta? Da muss ich hin.

Britta Freith lernte ich vor Jahren als Autorin kennen, dann folgten wir uns bei Twitter und sonst auch überall, ich folge ihr regelmäßig in ihren Insta-Storys in den Garten und mag einfach, was sie tut. Und wie sie es tut. Etwa nochmal zu studieren.

Britta Freith blickt auf einen der Lauschpöhle

Und so fuhr ich ins Hochsauerland, um am 19. Juni der offiziellen Eröffnung der Lauschpöhle in Wormbach beizuwohnen. Ich schrieb vom Sauerland als Heimat, aber das stimmt nur halb: Das Sauerland, in dem ich aufwuchs, ist etwa siebzig Kilometer vom Hochsauerland entfernt. Ich fand es demnach in gewisser Weise aufregend, dorthin zu reisen. Die Fremde, ganz nah.

Zutaten für gute Projekte: Offenheit, Neugier, Kreativität – und Zeit

Geschichten verbinden, klar. Weiß man, kennt man, sagt jeder, steht so oder so ähnlich in jedem Storytelling-Handbuch. Jeder von uns kennt vermutlich auch genügend Projekte, die in der Theorie gut klingen, die vielleicht dann auch gefördert werden – und am Ende sind sie fertig, es gibt eine Pressemitteilung, ein, zwei Artkel erscheinen, das Projekt macht sich nett im Jahresbericht, das war’s.

Aber was, wenn ein Projekt bereits im Entstehungsprozess Menschen vor Ort zusammenbringt? Wenn die nötige Offenheit und Neugier da ist, wenn es Kontakte in bestehende Dorfgemeinschaften gibt, wenn mit Kreativität und Vergnügen miteinander an der Umsetzung gearbeitet wird? Wenn man sich die nötige Zeit nimmt? Dann kann etwas wirklich Gutes entstehen, etwas, das den Moment überdauert, in dem ein Projekt feierlich eingeweiht und die Förderung durch ist, die Presse berichtet hat.

Lauschpöhle: Stationen an Wanderwegen mit Hör-Geschichten

Nun war ich nicht nur zur Eröffnung vor Ort, sondern ich war beinahe zwei Tage im Dorf und erlebte die Menschen, die in unterschiedlicher Weise am Projekt beteiligt waren. Lauschpöhle, also. Vielleicht erstmal dazu: Man muss kurbeln, um die Geschichten hören zu können. Mit dem Kurbeln an den Holzkästen erzeugt man Energie. Dann kann man die Hörgeschichten der einzelnen Stationen hören. Die Lauschpöhle wurden von heimischen Firmen konstruiert und erbaut. Vorbild war ein Projekt in Waldbröl im Bergischen Land.

Warum keine QR-Codes, warum keine App? Nun, die Netzabdeckung ist bescheiden. Und eine mechanisch betriebene Hörstation ist für jeden zugänglich: Man braucht kein Gerät. Man braucht kein Internet. Lediglich Geduld und etwas Ausdauer sind gefragt, denn man muss doch recht lange kurbeln, bis das grüne Lämpchen dauerhaft aufleuchtet. Da müssen wohl die Leute von der Technik nochmal ran.

Die Hörgeschichten sind wie kurze Radio-Features gemacht, also eine Mischung aus Hörspiel, Reportage und Dokumentation. Britta Freith hat hierbei Menschen aus dem Bauernland eingebunden, die erzählen, Texte sprechen oder hörspielen. Von diesen Menschen stammen auch viele der Geschichten. Der Aufruf hierfür erfolgte vor anderthalb Jahren über die Lokalpresse. Britta Freith hat aber nicht nur Stimmen aus der Gegend gesammelt, sondern auch Geräusche. Hieraus entstanden abwechslungsreiche und in sich sehr vielfältige Audiokunstwerke.

Geschichten von Früher und von Jetzt

Man hört natürlich etwas über lokale Sagen und Begebenheiten aus alten Zeiten. Aber man erfährt auch einiges über den Orkan Kyrill, der 2007 unter anderem durchs Hochsauerland fegte und eine ganze Kuppe entbaumte. Seitdem sieht man die zuvor verborgene Wormbacher Kreuzbergkapelle schon aus weiter Ferne. Es grenzt an ein Wunder, dass sie den Sturm damals heil überstand.

Mit dem Planwagen fuhren wir nach der offizellen Eröffnung zu einem der Lauschpöhle mit Aussicht auf die Felder des Bauernlandes, wo wir einiges über die Bodenreform der 1950er hören. Diese hat die lokale Geschichte wie auch viele Familiengeschichten bis heute geprägt. Das ist deutlich zu spüren, weil sich hier in der Reisegruppe prompt intensive Gespräche ergeben: Wie war das damals, wo wurde Land getauscht, pass auf, das war doch ganz anders! Bauernland

Heilig-Kreuz-Kapelle Wormbach

Vom Hölzken aufs Stöcksken

Wir kamen mit unserer kleinen Gruppe also gar nicht mal gut voran. Viele Geschichten wurden erzählt, man kam quasi vom Hölzken auf Stöcksken.

Der Blick auf die Umgebung verändert sich durch die Lauschpöhle: Man schaut in die Gegend, hört die Geschichten dazu und unvermittelt wird einem bewusst, von wieviel Vergangenheit und Gegenwart man umgeben ist. Und wieviel das mit der eigenen Geschichte, mit dem eigenen Selbstverständnis zu tun hat.

Wie geht es weiter? Nun, die Lauschpöhle sind noch nicht alle mit Geschichten gefüllt. Es ist noch Platz. Und das ist gut so: Es ging dem Projektteam nämlich nicht darum, wahllos möglichst viele Geschichten zusammenzuklauben, damit es fertig wird und basta. Hier steckt Liebe drin – und eine Vorstellung davon, wie man es haben möchte.

Das Pestfenster von St. Cyriakus

Die Lauschpöhle wirken für das Bauernland identitätsstiftend. Schon gibt es Ideen, dass man Spaziergänge dorthin planen könnte. Spaziergänge unter Beteiligung der Menschen, die Geschichten beigesteuert haben. Das Bauernland ist auch eine Urlaubsregion, in der die Lauschpöhle eine andere Form der Begegnung mit der Gegend ermöglichen könnten.
Auch eine Art Erzähl-Café könnte entstehen. In Geschichten begegnen Menschen einander und erzählen sich, woher sie kommen und wer sie sind und wer sie sein wollen.

Gefördert wurde das Projekt vom Land NRW und mit Mitteln des europäischen LEADER-Programms. Bei der Eröffnung sprach u.a. die Ministerin Ina Scharrenbach vom Ministerium für für Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstellung des Landes NRW.

Katja Lutter und Britta Freith bei der Eröffnung der Lauschpöhle
Katja Lutter und Britta Freith bei der Eröffnung der Lauschpöhle.

Lauschpöhle für alle?

Katja Lutter vom Heimat- und Verkehrsverein Bauernland und Britta Freith wünschen sich die Ausbreitung von Lauschpöhlen in andere Regionen. Da wünsche ich mit. Gerade weil es keine x-te App, kein QR-Code-Flickenteppich, eine weitestgehend nicht-digitale Angelegenheit ist, die sich sofort erschließt.

Was ich mir aber noch wünsche: Eine gute digitale Begleitung. Die Website ist noch recht rudimentär. Da soll aber demnächst einiges online gehen, wenn ich das richtig verstanden habe. Ich für meinen Teil wünsche mir dort die Hintergrundgeschichten der Lauschpöhle. Ich möchte eine Karte mit einer Kurzbeschreibung der Geschichten, die ich dort finden werde. Und Hörbeispiele. Ich möchte Vorschläge für Rundwege um die Lauschpöhle mit Streckenangaben. Und ich wünsche mir Porträts der Menschen, die am Projekt beteiligt sind. Denn diese Menschen machen dieses Projekt so besonders.

Randvoll mit Geschichten zurück ins Rheinland

Der Dreißigjährige Krieg, Bonifatius und die Benediktiner, die Totenwege, die Verehrung der Walburga, Fresken aus dem dreizehnten Jahrhundert, der Theaterverein und seine Liebe zu Loriot, Napoleon, die Pest, die Wassermühlen und die Geschichte der Hof- und Familiennamen: Dank der Lauschpöhle und der Begegnungen mit den Menschen, die dieses Projekt mit Leben und mit ihren Erinnerungen und Erlebnissen füllen, reiste ich randvoll mit Geschichten zurück nach Köln. Blicke ich auf die Karte, leuchtet das Bauerland nun für mich, als eine Gegend, der ich mich nun verbunden fühle.

P.S. Lauschpöhle leitet sich übrigens ab von Pohl, also Pfahl auf Platt. Ein Pohlbürger ist jemand, dessen Familie schon seit Generationen an einem Ort wohnt. Ich erinnere mich, dass wir damals in meinem Teil des Sauerlandes einmal im Jahr kollektiv gewandert sind, dann wurde man auf einen Pfahl gesetzt und erhielt eine Urkunde als Pohlbürger.

HINWEIS: Ich wäre auch auf eigene Kappe dorthin gefahren. Die Reisekosten trug ich selbst. Aber der Heimat- und Verkehrsverein Bauernland hat mich freundlicherweise für eine Nacht einquartiert und ich wurde auch aufs Beste verpflegt. Wofür ich mich herzlich bedanke. Meine Blogbeitrag erfolgt ganz unabhängig von Gastfreundschaft und Kollegialität, wiewohl ich sie sehr genossen habe.

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