Hausbesuch

Kunstpilgern: Resümee und eine Ableitung für Kulturorte

Wie kann man Kultur in den digitalen Raum transportieren und Menschen mit Kreativität, Kunst und Kultur inspirieren? Wie verändern sich Kulturorte durch digitale Kommunikation und wie können sie in Digitalien spiegeln, was sie im Analogen gut machen?

Das sind Fragen, mit denen wir Herbergsmütter uns gemeinsam, aber auch jede für sich in ihrem Geschäftsfeld beschäftigen. Als ich (Wibke) in einem Facebook-Posting bei unserer Kollegenfreundin Kristine Honig-Bock auf das Kunstpilgern stieß, interessierte mich zunächst mal die Aufbereitung. Der Begriff Kunstpilgern machte mich neugierig. Der Link blieb aber dann einige Tage liegen, weil die Seite nur langsam lud und ich mobil mit wenig Netz unterwegs war.

Scrollytelling ist für multimediale Dokumentationen und Reportagen ein reizvolles Instrument. Aber die langen Ladezeiten und die (insbesondere mobil) hakelige Navigation frustrieren bei einem Angebot, über das man sich erstmal einen Überblick verschaffen möchte, bevor man tiefer einsteigen will. Doch mir gefiel, was ich sah und las. Kurzerhand bewarb ich mich daher als Testreisende.

Acht Menschen wurden ausgewählt, vier Routen durch NRW zu bereisen und im digitalen Raum darüber zu berichten. Ich zitiere aus meinem Beitrag drüben bei sinnundverstand.net:

Kunstpilgern, das sind vier touristische Routen nach Themen durch Nordrhein-Westfalen: Diesseits, Feste Burg, Licht und Paradies.
Das Projekt ersonnen und umgesetzt haben Jan-Paul Laarmann und Jens Nieweg von 
Tourismus NRW/Kulturkenner.de und Alissa Krusch von der Kunstsammlung NRW. Den Impuls gab die (übrigens famose) Ausstellung The Problem Of God. Christliche Kunst, sakrale Architektur, Volksglauben und Religion an sich als prägendes Element der Gesellschaft und steter Quell der künstlerischen Auseinandersetzung finden sich auf diesen Routen wieder. Daher eben auch #Kunstpilgern.

Im verlinkten Beitrag verweise ich auf die verschiedenen Blickwinkel, aus denen ich in meinen Blogs und hier über das Projekt berichte. Meine Erlebnisse und Eindrücke vor Ort aus Sicht einer Kunstpilgerin beschreibe ich in meinem Denkarium. Hier konzentriere ich mich auf den Umgang der Kulturorte und des Veranstalters mit einer solchen Veranstaltung.

Einmal ins Paradies und zurück

Meine Route war dem Paradies gewidmet. Folgende Stationen bereiste ich in vier Tagen: Schloß DyckMuseum AbteibergKloster KampLandschaftspark Duisburg-NordSchloß MoylandBiotopwildpark Anholter SchweizK21/Kunstsammlung NRW und Museum Insel Hombroich. Eigentlich auch noch die Bundeskunsthalle in Bonn, deren Besuch ich am Wochenende noch nachpilgern werde.

Wie lief’s vor Ort mit den Museen und Kulturorten?

Es nimmt nicht Wunder, dass sich mir beim Gedanken an die schönen Begegnungen mit engagierten und gut vorbereiteten Menschen ein glückliches Lächeln ins Gesicht pflanzt. Das sind die Orte, die ich unbedingt nochmal besuchen und die ich auch anderen bereits fleißig empfohlen habe – und empfehlen werde. Durch die Dichte der besuchten Orte wurden mir einige Punkte wieder deutlich bewusst:

  • Der Ton macht die Musik: Wer sich freundlich willkommen geheißen und als Mensch auf Augenhöhe wahrgenommen fühlt, wird einem Ort mit seinen Geschichten und Informationen gegenüber aufgeschlossen und neugierig sein. Dasselbe gilt natürlich auch für die andere Seite: Sich einlassen wollen, unvoreingenommen sein und unbekümmert fragen macht es auch dem Gegenüber einfacher.
  • Menschen öffnen Türen zur Kultur: Den Zugang durch (persönliche) Geschichten und überraschende Bezüge kann man gar nicht hoch genug schätzen. Oftmals braucht es eine ausgestreckte Hand, die einen über die Schwelle in einen sozialen Raum führt, in dem man selbst dann in die Tiefe gehen kann. Sprich: Herzliche, zugewandte und sachkundige Menschen in der Kunst- und Kulturvermittlung sind Gold wert. Hier zeigt sich, wie sehr ein Kulturort seine Besucher wertschätzt.
  • Nähe schafft Freunde: Natürlich macht nicht jeder Besucher eine Führung mit. Die meisten menschlichen Begegnungen finden in der Regel im Museum an der Kasse und in Räumen mit Wachpersonal statt. Umso entscheidender ist der erste Kontakt an der Kasse. Wird man dort bereits argwöhnisch und abweisend behandelt, während man selbst höflich und freundlich ist, kann man als empfindlichere Natur schon mal einschnappen.
  • Weniger ist mehr: Eine Binsenweisheit? Gut gestreute und erzählte Wissensbrocken sind wie gute Angelköder: Man beißt als Besucher an und will mehr. Sind die Wissensbrocken zu groß oder zu schwer, macht das unzufrieden und unwillig. Wie wertvoll ist eine Führung durch gute Vermittler, bei denen man spürt, dass sie das Thema selbst fasziniert und dass sie viel viel mehr wissen, als man gerade erzählt bekommt. Daraus entstehen Fragen und Gespräche, die für beide Seiten bereichernd sein können.
  • Müde, Hunger, Pipi: Leerer Bauch studiert nicht gern. Das kennen wir alle. Wertschätzung gegenüber seinen Besuchern zeigt sich auch an der Gastfreundschaft vor Ort. Interessanterweise waren die gastfreundlichsten Orte auch die mit den herzlichsten Führungen. Womit wir wieder beim ersten Punkt wären.

»Banal!« höre ich es schon aus dem Off kreischen. Nun, wären diese Punkte banal, wäre es doch ein Leichtes, sie zu erfüllen, oder? Die Kulturorte, die auf meiner Paradies-Route lagen, waren in dieser Hinsicht übrigens fast ausnahmslos vorbildlich:

Ein begehbares Landschaftsgemälde: Schloß Dyck

Im Schloß Dyck nahmen uns Anja Spanjer (Kommunikation & Marketing) und die überaus kundige und begeisternde Uta Schmölker-Herrmann sowie Jens Nieweg vom Pilgerbüro Tourismus NRW/Kulturkenner herzlich in Empfang.

Frau Schmölker-Herrmann machte eine flotte Führung mit uns, zitierte aus dem Stegreif Ringelnatz und Goethe und es entspannen sich famose Gespräche. Ich bin nach wie vor prallvoll mit ihren Geschichten (Das Lindenrondell! Die elf Rehe! Eine Barockbrücke als Hochzeitgeschenk! Die niederländische Gräfin, die erstmal das Schloß umbauen ließ, weil sie höhere Zimmerdecken wollte! Die Kreuzung aus Buchen und Eichen, die sich allmählich, nach nahezu hundert Jahren, wieder ihrer Eichenanteile entledigen und nur noch hier und da ein paar krause Eichenblätter haben! Die Pfingstrosen! Ach … undundund!).

Nach zwei Stunden drängte die Zeit, weshalb wir zur Betrübnis von Frau Schmölker-Herrmann das Schloß mit der Ausstellung zur europäischen Gartenkunst nicht mehr schafften. Sie entließ uns mit dem Versprechen, dieses Versäumnis nachzuholen und  wurden dann ins stiftungseigene Restaurant Botanica eingeladen, aßen ausgezeichnet zu Mittag und fühlten uns willkommen und gut umkümmert. Mit einem ordentlichen Packen an Broschüren und Informationen zu Schloß und Park ging es weiter.

Weiterlesen: Schloß Dyck aus meiner Sicht als Kunstpilgerin

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Der Garten als Sinnbild für das Paradies: Kloster Kamp

Eigentlich ein Wunder, dass diese Geschichten so präsent blieben. Denn am Nachmittag trafen wir im Kloster Kamp in Kamp-Lintfort auf Dr. Hahnen, der sich bestens auf uns vorbereitet hatte und Herz und Seele dieses Ortes ist. Er hatte die Berichterstattung unter dem Hashtag #Kunstpilgern aufmerksam verfolgt und sprach uns gleich mit Namen und auf unsere Erlebnisse an. Auch hier hätte das Willkommen kaum herzlicher sein können. Es braucht mitunter so wenig, um sich füreinander zu öffnen. Kaum zu glauben, dass das manchen zuviel ist. Herr Dr. Hahnen ist im Kloster Kamp vollkommen in seinem Element, das ist in jeder Geste und in jeder Geschichte spürbar.

Ob er uns nun die Geschichte des Ortes erzählte (übrigens vor 900 Jahren als erste Niederlassung der Zisterzienser in Deutschland errichtet), uns die Schätze im Museum zeigte (u.a. das Kampener Antependium, eine Kostbarkeit aus grüner Seide, Gold und Silber) oder mit uns durch die Gärten ging: Dr. Hahnen ist ein wandelnder Wissens- und Geschichtenschatz und wusste auch überall Bezüge zu unserem Thema Paradies zu schaffen. Die Gartenanlagen des Kloster Kamp inspirierten übrigens mutmaßlich Friedrich den Großen zu Sanssouci. Er sah die Gärten, als er nach Schloß Moyland reiste, um dort (zum ersten und einzigen Male) seinen Brieffreund Voltaire zu treffen.

Geschichten, die hängenbleiben, weil so lebendig von Herrn Dr. Hahnen erzählt. Und gefestigt durch gelebte Gastfreundschaft, die sich in einem ordentlichen Stück Kuchen aus dem Spendencafé und einem guten Pott Kaffee manifestierte. Da hatte sich jemand richtig Zeit für uns genommen. Wie schön das war. Zum Abschied gab es dann für jeden noch ein Büchlein über das Kloster Kamp und ein liebevoll gefülltes Tütchen mit Honig und Marmelade aus Klosterproduktion und weiteren Informationsmaterialien.

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Voltaire und Beuys: Schloß Moyland

Ähnlich gut vorbereitet hatte sich Nina Schulze, die uns im Schloß Moyland begrüßte. Sie vertrat Sofia Tuchard, die zeitgleich eine Pressekonferenz zur neuen Ausstellung über Märchen und andere wundersame Geschichten hatte. Frau Schulze ist Leiterin der Kunstvermittlung und hatte sich im Vorhinein überlegt, welche Bezüge sie zum Thema Paradies schaffen könnte. Wir hätten eigentlich den Tag bestens einfach nur in den Gärten verbringen können − vor allem, als uns Frau Schulze ermunterte, uns dem Ort mit allen Sinnen zu öffnen, wir also Karamellbeeren probierten und die Monstranzbohne befühlten.

Da erst kurz vor unserem Besuch mit #digitalbeuys im Schloß Moyland eine Summer School über Museen, Storytelling und digitale Medien stattgefunden hatte, kamen wir schnell vom Hölzchen aufs Stöckchen. Wie an den Orten zuvor entwickelten sich rasch intensive Gespräche und ein Austausch, der über eine übliche Führung hinausging.

Nachdem wir dann nach Räumen mit der Geschichte von Schloß Moyland, in der uns Voltaire wiederbegegnete (siehe Kloster Kamp), und mit Werken von Beuys den Turm erklommen hatten, sanken wir dankbar ins Café nieder, wo wir auf eine Stärkung eingeladen wurden. Frau Schulze brachte Ursel Braun, die ebenfalls auf der Paradies-Route reiste, noch eine Publikation zum Hut von Beuys ins Café und versorgte uns überdies mit Materialien zum Schloß Moyland. Die Pressemappe zur neuen Ausstellung gab uns Sofia Tuchard, die wir bei unserem Rundgang nach erfolgreicher Pressekonferenz noch antrafen.

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Himmel und Hölle: Landschaftspark Duisburg-Nord

Zu den bisher beschriebenen, eher paradiesisch anmutenden Orten war der Landschaftspark Duisburg-Nord ein krasser Kontrast. Wir trafen in der Dämmerung ein und die Illumination des britischen Künstlers Jonathan Park färbte das einstige Hüttenwerk in Grün, Rot und Blau. Claudia Kalinowski (Öffentlichkeitsarbeit des Landschaftspark Duisburg-Nord) führte uns durch diesen vielfältig genutzten Ort. Der Landschaftspark ist frei zugänglich und aus der einstigen Hölle des Hüttenwerks mit glühendem Stahl und schier unmenschlichen Arbeitsbedingungen wurde tatsächlich eine Art Paradies, das den Menschen Raum für Kultur und Bewegung bietet.

Eigentlich bieten sich hier mannigfaltige Möglichkeiten für digitale Kommunikation und eine sinnvolle Verknüpfung von Online und Offline. Aber laut Frau Kalinowski sind sie dran. Es war eine schöne Führung und natürlich muss ich nochmal hin, um mir den Ort bei Tageslicht anzusehen. Zu entdecken gibt es genug.

Da wir nichts in die Hand bekamen, flutschte mir der Ort ob der Fülle an Eindrücken während der Tage des Kunstpilgerns beinahe durch. Papier ist eben geduldig. Schmerzlich vermisst habe ich es jedoch nicht, weil sich im Web viele Informationen zum Ort und seine Geschichte finden.

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Anholter Schweiz: Das Paradies auf Erden

Ich musste es googeln. Von der Anholter Schweiz hatte ich zuvor noch nichts gehört. Gut, von Kloster Kamp und Schloß Dyck auch nicht. Im Nachhinein kaum verständlich. Ich merkte auf, als Frau Schulze im Kräutergarten von Schloß Moyland vom Anholter-Moyländer Kräuterbuch erzählte. Doch nicht ins Anholter Wasserschloß führte mich mein Weg, sondern in den Biotopwildpark Anholter Schweiz. Es gab leider kaum Netz. Ohnehin ist die Versorgung mit Internet dort in der Gegend eher sparsam, wie mir die Chefin des Parks, Monika Westerhoff-Boland, erzählte. Da braucht eine Pageflow-Seite wie die zum Kunstpilgern übrigens ein paar Jahre, bis sie geladen ist …

Ich hatte eigentlich gar keine große Führung erwartet und war umso erfreuter, dass sich die Chefin viel Zeit nahm und mich forschen Schrittes auf eine Runde durch den Park, seine Geschichte, zu Wildkatzen und Dachsen und mitten in eine Herde von Kamerun-Schafen, Eseln und Ziegen und schlußendlich ins Schweizer Häuschen führte. Dort saßen wir noch eine ganze Weile bei einem ordentlichen Kaffee und (von der Chefin selbstgebackenen!) Kuchen und tauschten uns unter anderem über die unterschiedlichen Auffassungen von Paradies aus. Sie versorgte mich mit Material und wir werden sicher in Kontakt bleiben.

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 Verbindung von Kirche und Kunst: Museum Abteiberg

Mit diesem Museum der Moderne hatte ich meine Schwierigkeiten. Ich fand es auch irrtierend, dass von seiten des Hauses kein Interesse an einer Begegnung bestand. Wir bekamen freien Zutritt, nachdem wir eine anfängliche Irritation klären konnten. Aber des weiteren blieben wir uns selbst überlassen. Ich persönlich hätte eine Führung sehr begrüßt, denn mir erschloss sich dieses seltsam altertümlich anmutende Gebäude nicht. Das Licht war gut, der Skulpturengarten trotz rauer Witterung ansprechend. Aber ansonsten verließ ich das Museum achselzuckend.

Dass es Teil der Paradies-Route war, lag an der Sonderausstellung Der Apfel. Eine Einführung. (immer und immer und immer wieder). Nun ja. Am Ende erbaten wir uns eine Pressemappe. Soviel Zeit, um sich auf eigene Faust Museum, Ausstellung und Skulpturengarten zu erschließen, gab es einfach  nicht. Der nächste Termin drängte. Und so zogen wir weiter.

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Museum Insel Hombroich: Das kühle Paradies

Wegen einer Terminkollision stieg ich leider erst einen Tag später ins Kunstpilgern ein. Daher besuchte ich die Museum Insel Hombroich einen Tag nach dem offiziellen Ende. Es war einer sonniger Herbsttag. Ein Samstag. Das bedeutete: Die Insel war voll. Der erste Kontakt an der Kasse gewohnt unterkühlt. Ich war gestresst, weil ich mich auf der Hinfahrt komplett verfranst hatte. Ist man einmal von der Hauptstraße abgekommen, hat man kaum mehr eine Chance, sich zurechtzufinden. Mein Navi hyperventilierte und ich stand irgendwann auf einem Feldweg.

Für das alles kann das Museum Insel Hombroich vielleicht nichts. Wenngleich die Verbindung zwischen Raketenstation, Langen Foundation und Insel Hombroich NIE klappt − da ließe sich doch sicher in Sachen Beschilderung mit Informationen über Entfernungen etwas machen?

Nun ja, es wird auf der Insel Hombroich selbst nicht wirklich besser, weil der Inselplan eher ein Serviervorschlag ist und man oft herumirrt. Das Herumirren ist dann meist sehr schön. Und auch die Verpflegungsstation im Zentrum der Insel mit dem System auf Spendenbasis und der schönen Architektur mag ich. Aber ich wollte dann trotzdem irgendwann einfach weg, nach Hause. Ich fühle mich an diesem Ort nie so ganz willkommen.

Netz gab’s auch nicht. Dafür knipste ich chinesische Pferdchen und sah fast zahme Bisamratten, die Fallobst mampften. Ich sammelte zwei Handvoll Maronen, drei Hagebutten und pflückte einen Apfel. Ganz ohne Beute mochte ich dann doch nicht gehen.

2015-09-26 20.40.17

The Problem Of God: K21 / Kunstsammlung NRW

Die Ausstellung The Problem Of God gab den Impuls für das Kunstpilgern. Und so fanden sich die vier Kunstpilgergruppen am letzten Tag alle in Düsseldorf wieder, lernten sich kennen und waren einen Tag lang im K21 unterwegs. Ich denke, dass es eigentlich andersherum besser gewesen wäre: Erst kennenlernen, eine Community formen, in die Grundidee und (auch organisatorischen) Hintergründe des Kunstpilgerns eintauchen und dann losziehen und weiter entfernte Kulturorte erforschen. Die (auch öffentliche) Kommunikation innerhalb der Gruppe und mit dem Pilgerbüro wäre vielleicht fluffiger geworden. So hingen doch alle nach anstrengenden, erfüllenden und für manche offenbar nicht durchgängig erfreulichen Tagen ziemlich im Seil.

Nichtsdestotrotz war es ein insgesamt runder und angenehmer Tag. Wenngleich hier und da Pausen zum Essen und Trinken etwas kurz kamen. Aufregend war die Begegnung mit der Ausstellung In Orbit des Künstlers Tomás Saraceno. Hervorragend die Führung durch die noch nicht eröffnete Ausstellung The Problem Of God durch die Kuratorin Isabelle Malz, deren persönlicher Blick und die Geschichten der engen Zusammenarbeit mit den Künstlern uns einen ausgezeichneten Zugang zur Ausstellung bescherte. Ein besonderer Augenblick war die Begegnung mit dem Künstler Georges Adéagbo, der mit uns seine Installation betrat und unsere Fragen beantwortete.

Einen gemeinsamen Abschluß gab es im Schmela-Haus. In der Theorie ein schöner Gedanke und auf jeden Fall ein feiner Ort. In der Praxis nochmal eine kleine Odyssee durch die Stadt und wieder zurück, weil im Anschluß die offizielle Eröffnung von The Problem Of God stattfand. Ein klein wenig Budenzauber kam auf, als wir im Schmela-Haus nach und nach Zettelchen zogen und kleine Aufgaben zu erledigen hatten. Ich durfte etwa meinen heiligsten Moment schildern. (An den ich mich gerade nicht mehr erinnern kann. Eigentlich waren meine Gedanken nämlich bei all den Erlebnissen und Geschichten der vergangenen Tage.)

2015-10-09 15.41.18

Begleitet hatte uns am Niederrhein übrigens die Journalistin Heike Waldor-Schäfer, die darüber einen Artikel in der NRZ schrieb.

Was lässt sich für Kulturorte und Veranstalter aus diesen Erfahrungen ableiten?

Die Vorlaufzeit war offenbar recht knapp. Man sollte sich bei guten Ideen aber nicht von solchen Kinkerlitzchen wie Zeit abhalten lassen. Man merkte, dass hinter dem Kunstpilgern ein Team steckt, das sich versteht und seine Idee trotz vielleicht vorhandener Skepsis und Vorbehalte in den eigenen Institutionen umsetzen wollte. Ich behaupte: Je schwieriger das Team und die Kommunikation im Hintergrund, desto wichtiger ist eine genügend lange Vorlaufzeit. Wenn das Team jedoch passt und einigermaßen freie Hand hat, kann man auch in kurzer Zeit gemeinsam etwas Gutes auf die Beine stellen.

Dennoch leiden natürlich manche Dinge unter mangelnder Vorlaufzeit, wie etwa das Hinführen auf die Aktion und Zusammenschweißen einer Community mit einem fluffigen Storytelling. Dazu dann aber an anderer Stelle mehr.

Was das Kunstpilgern aus meiner Sicht außergewöhnlich interessant machte, war die Auswahl der Testreisenden. Bewusst wurden nicht dezidiert Kultur- und Reiseblogger auf die Reise geschickt, sondern eine recht bunte Mischung aus Menschen aller Altersstufen, die stellvertretend für mögliche Museumsbesucher und Kulturreisende stehen. Die Veranstalter setzten nicht ausschließlich auf Blogs, sondern auch hierbei war die Mischung über Vine, Youtube, Instagram, Facebook, Twitter bis zum Fotodesigner vielfältig. Die einen erzeugten im Live-Erlebnis Schwung, die anderen sammelten Material und liefern nun nach und nach ihre Storys. Wäre die Kommunikation und Vernetzung im Digitalen früher gestartet, hätte man möglicherweise mehr Aufmerksamkeit und Reichweite für das Kunstpilgern erzeugen können.

Mut beweisen und auf eine ungewöhnliche Gruppe setzen! Das erzeugt Spannung − nach innen und außen. Und gutes Storytelling braucht Spannung.

Klare Kommunikation, ob und was (nicht) fotografiert werden darf. Da herrscht aber offenbar bei vielen große Unsicherheit (oder eine Haltung), die den Institutionen nicht gut zu Gesicht steht. Hilfreich sind Hinweise wie die auf der Website der Anholter Schweiz.

Ein Plädoyer für freies WLAN: Eigentlich ist eine Entscheidung für oder gegen WLAN auch eine Entscheidung für oder gegen eine Förderung von Veröffentlichungen via Social Media aus den Museen. Wer möchte, dass sich Besucher vor Ort mit der Kulturinstitution vernetzen, sollte WLAN anbieten. Wer möchte, dass Besucher aus den Museen ihre Eindrücke und ihre Begeisterung, Lob und Kritik schildern, kommt um WLAN nicht herum.

Ob schwächelndes Netz, ausgepumptes Datenvolumen oder ausländische Besucher: Für einen WLAN-Hotspot sind digital-affine Besucher schlicht dankbar. WLAN muss gar nicht flächendeckend verfügbar sein. Aber im Museumscafé oder an ausgewählten Orten ist WLAN ein sinnvoller Service. Viele öffentliche Bibliotheken sind da übrigens ein gutes Vorbild und haben das längst realisiert.

Social Media nicht halbherzig: Eine Facebook-Seite, die sichtlich mit spitzen Fingern bedient und ein Mauerblümchen-Dasein innerhalb der Kommunikation fristet, ist eher abschreckend als einladend. Nur auf einen Dienst zu setzen, schafft ohnehin eine ungute Abghängigkeit. Eine gut sichtbare Aktion wie Kunstpilgern für die eigene Vernetzung, Reichweite und Anschluß an die Community zu nutzen, gelang nur wenigen der besuchten Kultororte.

Auf meiner Paradies-Route nutzten diese Chance einzig Schloß Moyland bei Twitter und die Kunstsammlung NRW, die nun ja auch Mitveranstalter des Kunstpilgerns sind. Der Biotopwildpark Anholter Schweiz reagierte auf meine Postings bei Facebook und wurde dadurch nochmal sichtbarer. Herr Dr. Hahnen vom Kloster Kamp nahm die Gelegenheit beim Schopf, digital Kundige zu Besuch zu haben und lotete mit uns Möglichkeiten aus, wie er Social Media besser nutzen kann. Das werden wir noch vertiefen, Herr Dr. Hahnen! 🙂

Exklusive Momente schaffen Freunde: Mitunter gehört so wenig dazu, Besuchern ein Gefühl zu geben. dass es etwas bedeutet, dass sie einen Kulturort mit ihrer Anwesenheit beehren. Eine persönliche Geschichte, ein sinnlicher Zugang, die Möglichkeit der Mitgestaltung, die Begegnung auf Augenhöhe − so macht man aus Besuchern Freunde des Ortes, Freunde, die wiederkommen und wiederum andere Freunde mitbringen. Freunde, denen dieser Ort etwas bedeutet und die das Interesse teilen, diesen Ort lebendig und erlebbar zu halten.

Netzwerk-Effekte nutzen: Mit solchen Aktionen lernt man einander einfach mal kennen. Ob der Kontakt über den digitalen Raum schon vorher bestand oder durch diese Begegnung überhaupt erst möglich würde: Die Kulturorte öffnen eine Tür und mögliche Multiplikatoren nehmen diese Einladung an. Gerade für Institutionen, die sich in der digitalen Kommunikation nicht sicher sind, bietet sich durch den Austausch die Möglichkeit zu lernen und sich verständnisvolle Verbündete zu schaffen.

Ich habe den Eindruck, dass sich insbesondere klassische Kulturinstitutionen mit gehobenem Anspruch hierbei schwertun. Der innerliche Elfenbeinturm verhindert eine echte Annäherung auf Augenhöhe. Wer sich entspannt, kann allerdings Teil einer lebendigen und inspirierenden Community werden und wird selbst als lebendig und bereichernd wahrgenommen. Macht eigentlich auch viel mehr Spaß als immer nur allwissender Experte sein zu müssen ;-).

Was bringt eine Teilnahme an einer solchen Aktion den Teilnehmenden selbst?

Ja, wie jetzt? Was bringt denen das? Die dürfen dankbar sein, dass sie bei sowas Tollem* dabei sein durften!
*Teurem

Okay, das ist nun böse in den Mund gelegt. Und ganz sicher nicht auf die Veranstalter hinter Kunstpilgern gemünzt. Dennoch ist es schlicht wichtig, dass alle Seiten von einer solchen Aktion profitieren: die Kulturorte, der Veranstalter und die Teilnehmer. Ansonsten zwickt und knirscht es und zurück bleibt mehr Unwohlsein als Begeisterung. Da bei einer so heterogenen Gruppe ganz unterschiedliche Erwartungen zusammentrafen, waren auch die Erfahrungen beim Kunstpilgern sehr unterschiedlich.

Ebenfalls auf der Paradies-Route unterwegs war Modebloggerin Ursel Braun, die sich auf ganz eigene Weise den Orten und Themen annäherte (toll!). Im Bewegtbild hielt Ulle Bowski seine Erlebnisse im Diesseits fest. Nicole Hundertmark war auf der Tour Feste Burg unterwegs und hat famose Fotos mitgebracht. Von dieser Route berichtet auch Simon Erath im Steuner Magazin. Maria Männig reiste ins Licht und bewertete die Punkte Museen im Web 2.0, Kunstvermittlung und Barrierefreiheit.

Was mich neben einem ganz persönlichen Interesse und etwas Abenteuerlust am Projekt interessiert hat, habe ich hier beschrieben.

Mein Fazit: Mehr solcher Aktionen! Eine fabelhafte Idee, mit der Kultur und Tourismus spielerisch verbunden wird. Ich mochte es sehr, gerade mein NRW zu erforschen. Glücklicherweise wird mich auch die #BibReise bald an bislang unbekannte oder eunentdeckte Orte von Nordrhein-Westfalen führen. Außerdem ist Kunstpilgern eine gute Aktion, um Kultur, Kunst und Geschichte und das Nachdenken über prägende Begriffe für unsere Gesellschaft im digitalen Raum anzuregen. Ich bin ja ohnehin dafür, den mit mehr Kreativität, Kunst und Kultur zu okkupieren. Und es braucht solche Aktionen, um Institutionen freundschaftlich miteinander zu vernetzen und die digitale Kommunikation voranzutreiben. Interessanterweise gibt es diese Netzwerke ja bereits, zum Beispiel durch Kooperationen der Gärten u.a. in Kloster Kamp, Schloß Dyck und Schloß Moyland. Zeit, sie im digitalen Raum sichtbarer zu machen.

tl;dr (too long, didn’t read)

Kunstpilgern ist schön, macht aber viel Arbeit. Die Kunst am Kunstpilgern ist eine gute Vereinbarkeit von menschlicher Begeisterung und Freundlichkeit gepaart mit guten Bedingungen für digitales Arbeiten. Und ein Stück Kuchen zur rechten Zeit kann den Tag retten.

Ein Lieblingsbild vom Kunstpilgern: Vom Wind zerzaust auf dem Turm von Schloß Moyland. Hui!

Hinweis: Herbergsmutter Anke von Heyl ist Jury-Mitglied beim Virenschleuder-Preis. In der Kategorie Idee ist auch das Kunstpilgern nominiert und auf der Shortlist gelandet. Dieser Beitrag ist allerdings von Wibke und hat mit Ankes Entscheidungen nichts zu tun. Wir als Herbergsmütter sind ja eher ein Kulturkollektiv und arbeiten in der Regel eigenständig und auf eigene Rechnung.



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2 thoughts on “Kunstpilgern: Resümee und eine Ableitung für Kulturorte
  1. Liebe Wibke,
    vielen Dank für deine differenzierte Darstellung der Kunstpilger-Reise. Die Analyse zeigt, dass die bewusst forcierte Mischung der Teilnehmer, so schön sich das im Konzept alles anhören mag, auch naiv war. Die divergenten Bedürfnisse der Personen konnten nicht bedient werden. Ich denke, das ist für beide Seiten schwierig.
    Dazu kommt die Vielfalt an Kanälen, auf die man gesetzt hatte. Kombiniert mit der Tatsache, dass jeweils zwei MultiplikatorInnen auf einer von vier Routen unterwegs waren führte dazu, dass kein wirklicher Stream erzeugt werden konnte. Wie denn auch? Gehapert hat der Ansatz auch dahingehend, dass für die teilnehmenden Institutionen gar nicht klar war, in welcher Relation sie zu einer Ausstellung stehen, die erst noch eröffnet wird. Dazu kamen Aspekte wie Technologieferne und mangelnde Medienkompetenz sowie mangelnde Ressourcen. Einem Haus, dass weder Erfahrung noch Geld für Social Media hat, wird man das durch eine vorbeiziehende Bloggerreise auch nicht schmackhaft machen können.
    Auch bin ich deiner Meinung, dass man das Pferd tendenziell eher von hinten aufgezäumt hat. Die Eröffnung/eröffnete Ausstellung als Ausgangspunkt hätte dem sozialen Aspekt in dieser Konstellation sicher gut getan. Auch thematisch hätten sich so rückwärts die Bezüge leichter finden lassen, als umgekehrt, als es nur um abstrakte Konzepte mit unklarem Ausgang ging.
    In einem Punkt muss ich dir widersprechen: Ich habe eher den Eindruck, dass die „klassischen Häuser“ (was ist das? Nun, nach meiner Definition öffentliche Museen mit einer Geschichte, die bis in’s 19. Jh. zurückreicht) tendenziell eher in Social Media-Aktivitäten engagiert sind, als jüngere Institutionen. Die großen Kampagnen kommen von Städel, von den Pinakotheken usw. Im Gegenwartskunstbetrieb geht es um Definitionsmacht, in dem ein elitäres Feld beschützt werden muss. Strukturell gesehen steht das allein im Widerspruch zu demokratischeren Kommunikationsformen und einer Mitmach-Kultur.
    Viele Grüße,
    Maria

    1. Liebe Maria,
      herzlichen Dank für Deinen Kommentar. Es war eben lehrreich für alle. Ich bin froh, dass Tourismus NRW und die Kunstsammlung NRW diesen Schritt gewagt haben. Digitalisierung ist ein Prozess, in dem alle nur voneinander lernen können.

      Wenn ich mangels alternativer Begriffe von „klassischen Museen“ Spreche, verstehe ich darunter die etablierten Kunstmuseen. Städel, Pinakotheken und vielleicht noch Haus der Kunst (nicht zuletzt durch die Kulturkonsorten) sind Ausnahmen, einige andere folgen dem Beispiel mehr oder weniger tatendurstig. Viel mehr Leben und Bewegung sehe ich bei viel begrenzteren Mitteln bei den kleineren oder eben nicht-klassischen Museen, also Naturkunde- oder Freilichtmuseen. Immer wieder klasse, was wir für Aktionen mit dem Dortmunder U machen konnten, die zum Mitmachen und Mitgestalten regelmäßig und ganz selbstverständlich einladen. Auch die Kulturorte, die auf der Paradies-Route liegen, sehe ich da im nicht-klassischen Bereich und ich habe sie, bis auf die beschriebenen Ausnahmen, als interessiert und aufgeschlossen an digitaler Kommunikation erlebt.

      Spannend, was Schloß Moyland da neulich mit #digitalbeuys unternommen hat. Bei anderen dauert’s eben was länger. Die einen werden sich rasch verändern können, bei den anderen braucht es
      ein, zwei Mitarbeiter- und vor allem Führungsgenerationen, bis dem
      Thema angemessene Bedeutung beigemessen wird. Ich sehe das mittlerweile recht gelassen, aber zum einen habe ich mich ja irgendwann und nunmehr vor langer Zeit durch den Abbruch meines Kunstgeschichtsstudiums und Aufgabe meiner damaligen Mitarbeit im Museum bewusst von dieser Welt ein paar Schritte weit entfernt. Und zum anderen hängt für mich kein primäres berufliches Interesse daran, weil ich meine Kunden andernorts habe. Wenn sich künftig mehr Museen auf gemeinsame Unternehmungen im Bereich Kreativität und Kulturvermittlung einließen, würde ich mich dennoch freuen. Mal sehen, wie sich die beim Kunstpilgern geknpüften Kontakte entwickeln.

      Sonnige Grüße,
      Wibke.

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