Hausbesuch

Wien. Zwei Theater, vier Museen und kein Todesfall*

Ganz ursprünglich sollte das stARTcamp Wien ja Ende Oktober stattfinden und Herbergsmutter Ute entschloss sich, dies mit einer kleinen Wienreise zu verbinden. Nun, der stARTcamp Termin wurde etwas nach hinten verschoben, aber Ute blieb bei ihrer Reiseplanung. Hier ist ihr Kulturbericht.

Bei meinen Reisevorbereitungen bin ich ja erst mal fast vom Stuhl gefallen, als ich „Museen in Wien“ googelte und mit dieser Liste konfrontiert wurde. 311 Einträge!!! Das hat mich erst mal überfordert. Glücklicherweise hatte ich mit Anne Aschenbrenner, eine dieser wunderbaren Bekanntschaften, die auf Twitter begannen, und die ich im Frühjahr beim stARTcamp München persönlich kennenlernte, eine kongeniale (nicht nur) Kulturprogrammbegleiterin. Danke für alles! <3

Stella15, Wien Auftakt war dann gleich am Ankunftsabend der Besuch einer Theatervorstellung beim Stella Festival. (STELLA15-Darstellender.Kunst.Preis für junges Publikum). BOOOM!!! von SILK Fluegge aus Linz wurde später dann auch als herausragende Produktion für Jugendliche ausgezeichnet. Mit der Inszenierung hatte ich das eine oder andere Verständnisproblem. Die „Intervention“ aus dem Publilum war allerdings in der Tat extrem irritierend und nachhaltig nachwirkend. Die jungen Darsteller haben eine beeindruckende (schauspielerische) Leistung gebracht.

Am Dienstag stand als erstes ein Besuch im Mumok – museum moderner kunst stiftung ludwig wien – an. Also auf zum Museumsquartier.

„… das MuseumsQuartier Wien ist mit rund 60 kulturellen Einrichtungen nicht nur eines der weltweit größten Kunst- und Kulturareale sondern mit seinen Innenhöfen, Cafés und Shops auch eine Oase der Ruhe und Erholung inmitten der Stadt.“

Mumok Wien Das Mumok steht als beeindruckender grauer Monolith quasi in der Mitte und hebt sich schon optisch vom Rest ab. Ich entschied mich, die 7 Etagen von oben nach unten abzuarbeiten und landete als erstes in der Ausstellung „to expose, to show, to demonstrate, to inform, to offer“. Völlig unvorbereitet irrte ich erst mal einige Zeit herum und war erschlagen von der Fülle des ausgestellten Materials, als ich plötzlich auf ein großes Foto vom Päff stieß. Das Päff ist (war?) eine Kölner Kultkneipe/Club

Päff

Häh? Wie jetzt? Kölner Club im Wiener Museum? Ich wurde neugierig. Mit der Ausstellung blickt das mumok auf das internationale Kunstgeschehen um 1990.

“Vor dem Hintergrund großer gesellschaftlicher Herausforderungen fand um 1990 eine Auseinandersetzung mit den sozialen Funktionen und Grundlagen künstlerischer Arbeit statt. Die Reflexion von künstlerischen Rahmenbedingungen und Ausstellungsfragen verschränkte sich dabei auf vielfache Weise mit der Bearbeitung konkreter gesellschaftlicher Anliegen. Es wurden der Objektstatus und die ökonomischen Bedingungen des Kunstwerks hinterfragt; soziale Ausschlussmechanismen wurden zu einem zentralen Thema; Identitäts- und Genderfragen wurden heftig diskutiert; die AIDS-Krise steuerte ihrem Höhepunkt entgegen. Ebenso waren die Folgen der Osteuropaöffnung und die rasant voranschreitende Globalisierung allerorts spürbar.“ [Pressetext, PDF]

Auf einer anderen Etage studierte ich akribisch die Fotos auf dem Modell des „Projektraum Friesenwall 120“, um eventuell Bekannte zu entdecken. So wurde ich unverhofft mit meiner Vergangenheit konfrontiert, die gar nicht meine Vergangenheit ist, denn 1990 lebte ich noch gar nicht in Köln.

Friesenwall 120 Die Ausstellung bietet soviel Material, dass man hier gut einige Tage verbringen könnte. Ein bisschen Herzklopfen hatte ich schon, als ich mir ein Blatt vom Stapel „Untitled“ (Loverboy) von Felix Gonzales-Torres nahm. Das habe ich so in einem Museum noch nie gemacht und ich hätte mich nicht gewundert, wäre irgendwo ein Alarm losgegangen, oder hätte sich ein Wärter auf mich gestürzt. Aber vom Künstler war es so gewünscht. Das Blatt ist nach meiner Reise jetzt übrigens in einem etwas zerknitterten Zustand. Dass auf „Untitled“ (Go-Go Dancing Platform), der Go-Go-Tänzer in silberner Badehose nicht posierte als ich da war, muss ich ein bisschen anprangen.

Eine Arbeit, die mir noch ganz besonders aufgefallen ist, „Markierung und Etikettierung“ von Thomas Locher. Eine Zimmereinrichtung aus Holzmöbeln, die ausgesprochen zweckmäßig und ein bisschen traurig aussehen, sind mit Fragen graviert. „Was mache ich da“, „Ist das nicht undurchsichtig“, Was kann das nur bedeuten“, „Ist das mehrdeutig“, „Finde ich einen Sinn“. Kopfkino galore.

Die andere Ausstellungen, durchging ich im Schnelldurchlauf. (Offtopic: Im Café des mumok aß ich den weltbesten Cupcake meines Lebens)
Nach einem Spaziergang durch die Josephstadt sah ich abends im Volkstheater „Alte Meister“  von Thomas Bernhard, in einer ausgezeichneten Bühnenfassung und wunderbar minimalistisch inszeniert von Dušan David Pařízek. Diesen Rant auf die österreichische Kultur und Gesellschaft in Wien in einem so schönen Haus zu sehen ist natürlich grandios.

Kunsthaus Wien

Kunst Haus Wien im Hundertwasser Haus. Hunderwasser. Nun. Einen rechten Zugang finde ich nicht, obschon er einen prima Humor hatte, wie die Titel mancher seiner Arbeiten zeigen. „133 pissende Knaben mit Wolkenkratzer“, „Verschimmelungsmanifest gegen den Rationalismus in der Architektur“, mir sein Ansatz für die Architektur grundsätzlich gefällt, ich die Umsetzung von bewohnbare Objekten bei Niki de Saint Phalle (Tarot Garden) aber konsequenter und feiner finde. Anyway. Es gibt dort eine umfassende Werkschau zu sehen, mich haben besonders die frühen Lithografien beeindruckt. (fotografieren verboten!)

Sehr gefreut habe ich mich über die Joel Meyerowitz Retrospektive. Einer der Godfathers der modernen Street Photographie und neben William Eggleston einer der Pioniere der Farbfotografie. 1968 fuhr er ein Jahr lang durch Europa und fotografierte aus dem Auto und war ein „rasender Straßenfotograf“. Es gab auch eine 60 minütige Dokumentation von Ralph Goertz zu sehen, in der der über 70jährige, sehr sympathische Meyerowitz begeistert wie ein Kind über das fotografieren auf der Straße spricht und sehr kluge Dinge über das fotografieren sagt.

Joel Meyerowitz im Kunsthaus Wien Hier sind davon ein paar Ausschnitte zu sehen, entstanden 2014 zur Retrospektive im NRW-Forum, Düsseldorf.

Obschon Meyerowitz immer noch auf der Straße fotografiert, hat er sich im Lauf der Jahrzehnte zur Langsamkeit und Ruhe hin bewegt. 1978 wechselte er von Kleinbild zu einer 8×10 inch Plattenkamera, eine Deardorff von 1938. „Der scheinbar technische Rückschritt war ein Schritt nach vorne zu einer neuen künstlerischen Stufe.“ Naturaufnahmen und immer wieder das Meer zur „blauen Stunde“ sind Untersuchungen von Farben und Lichtstimmungen. Akribisch macht er sich zu jeder Aufnahme Notizen. Dass Meyerowitz ausgebildeter Maler ist, sieht man seinen Fotos unbedingt an.

Meyerowitz Notizen

 Inzwischen hat er sich der Objektfotografie/dem Stilleben zugewandt und setzt im Studio Objekte in Szene, die auch mit der Malerei korrellieren. Seien es Objekte aus dem Atelier von Paul Cézanne in Aix de Provence oder die, die Giorgio Morandi gemalt hat. Meyerowitz schreibt auch ein lesenswertes Blog.

Leider kann und will ich auf die Ausstellung nicht verlinken, da sie auf der Museumssite jetzt unter „Aktuelles“ steht. Wenn sie am 2.November ins Archiv verschoben wir, wird sich die Adresse ändern und der Link hier würde zu einer anderen Ausstellung führen. Solche Überlegungen gehören natürlich auch zur digitalen Kompetenz und  Sichtbarkeit im Netz. :/

 

Nach dem gehen über hubbelige und knubbelige Fliesenböden im Hundertwasserhaus, hatte ich unbändige Lust auf knarzendes Parkett und hatte die verrückte Idee, das im Naturhistorischen Museum zu tun. Was für ein Gebäude, was für eine Opulenz und Pracht – nur leider kein knarzendes Parkett. Ich mag es sehr durch alte Gebäude und Räume zu gehen, Geschichte und Geschichten zu atmen und mir vorzustellen, was schon alles in diesen Räumen geschehen ist. Ich bin dann nur durch die Tierabteilung und fand doch ein bisschen spooky zwischen den hunderten von ausgestopften und teilweise verstaubten Präparaten. Ich bildete mir die ganze Zeit ein, es würde seltsam riechen, was es natürlich nicht tat. Gut gefallen haben mir die Glasmodelle von Quallen.

Die kunstvollen Glasmodelle mariner Wirbelloser von Leopold und Rudolf Blaschka aus der Zeit um 1880 stechen darunter besonders hervor. Ihnen wird in der Ausstellung ein spezieller Platz eingeräumt- stellen sie doch nicht nur Objekte der Wissenschaft und Lehre dar, sondern auch höchst dekorative Kunstobjekte.

 

Albertina

Ich hatte meinen Besuch bei einigen Museen angekündigt und wurde im Albertina Museum von Ivana Novoselac-Binder persönlich und ganz besonders herzlich empfangen. Hatte ich das Haus ursprünglich gar nicht so unbedingt auf dem Zettel, habe ich dort schließlich die längste Zeit verbracht.

Über Twitter hatte ich schon von der Edvard Munch Ausstellung und dem Social Special am 25. Und 26. Oktober gehört. Der Plan war, die Munch Ausstellung anzuschauen und schon ein bisschen zu spoilern, aber dann geriet ich als erstes in die Ausstellung zur Künstlerfreundschaft Feininger & Kubin. Und war überwältigt. Beide Künstler waren mir ein Begriff, aber irgendwie hatte ich Alfred Kubin ganz anders verortet und seine Zeichnungen waren für mich eine großartige Entdeckung. Alptraumhaft, surreal, teilweise wie Filmsettings anmutend. Wieviel Filmemacher haben sich wohl davon inspirieren lassen? Guillermo del Toro bestimmt, oder? Von Feininger kannte ich bislang auch nur die Malerei und ihn als Bauhäusler. Die Freundschaft der beiden begann mit einem Briefwechsel, der gegenseitigen Bewunderung und der Fragen nach Werktausch.

 

  “Von den heutigen Zeichnern schätze ich Sie ganz besonders – Würden Sie wohl darauf eingehen, je eine Arbeit zu tauschen? – Ich sende Ihnen dann ein paar Sachen zur Auswahl, behalten Sie dann was Ihnen gefällt und legen Sie der Retoursendung irgend eine Zeichnung von Ihnen bei, etwa eine ramponierte Lokomotive oder ein altes Gebäude – ich finde alles wunderschön und interessant“ Kubin an Feininger, 25. November 1912

Ist das nicht bezaubernd? <3 . Als nächstes durchdüste ich die Munch Ausstellung. Am 25.10. (englisch) und am 26.10. (deutsch) fand eine Twitterführung  durch die Ausstellung statt. Ich war inzwischen wieder in Köln und fand es von außen sehr fabelhaft mitzulesen, zumal – oder weil – ich die Ausstellung vor Augen hatte.

Albertina - Edvard Munch, Der Schrei - oder das Geschrei?
Der Schrei – umlagert

Vor Ort war es wohl nicht ganz so spannend, ein TweetUp bietet da natürlich mehr Interaktivität und tut mehr für die Communitybildung.

Dennoch eine gute Aktion und das eine muss das andere ja nicht ausschließen. Überhaupt – die digitalen und SocialMedia Aktivitäten der Albertina! Die Leitung hat seit kurzem Ivana Novosolac-Binder, eine Kunsthistorikerin, die lange in der Vermittlung gearbeitet hat.

Albertina Social Media

 

Die Albertina ist aktiv bei Twitter, Facebook, Instagram, Youtube, Vimeo, Pinterest, Google+, hat eine exquisite Website, einen seperates Blog, eine online Sammlung (mit derzeit 73.085 Werken online), ist beim Art Project vertreten und hat eine eigene Seite bei Trip Advisor (und sie kommentieren dort jede (!) Bewertung – und sei sie noch so albern). Jede Ausstellung hat eine Hashtag und die Social Media und online Kanäle sind dort als Wandbeschriftung zu finden. Fast überflüssig zu erwähnen, dass es freies WiFi im Haus gibt – wie übrigens in den meisten Museen, in denen ich war, ebenso wie in Cafés, Restaurants, usw. Eat this, most of the german museums!!

Dann durchschritt ich noch die Prunkräume des Herzog Albert von Sachsen-Teschen – endlich auf knarzendem Parkett! – stärkte mich mit einem überteuerten Cappuccino, um dann noch die Fotoausstellung Black&White anzuschauen. Eine kleine Auswahl aus der aus ca. 100.000 Fotos bestehenden Fotografie Sammlung und ich traf dort viele meiner Helden und Lieblinge, die ich nicht oft genug sehen kann: Brassai, Friedlander, R. Frank, L. Model, Cartier-Bresson, Renger-Patzsch, etc.

Schade, dass ich das stARTcamp Wien verpasse, denn ich habe es auch nicht geschafft, das Museum für Angewandte Kunst zu besuchen. Immerhin hat es zu einem Kaffee zwischen Tür und Angel mit Christian Henner-Fehr gereicht. 🙂

tl;dr (too long, didn’t read) Wien ist eine (Kultur-)reise wert. Es bleiben ja noch 307 Häuser zu besichtigen.


Über meine Wienreise abseits der Kulturinstititionen schreibe ich demnächst noch bei Vogelsfutter und einen Beitrag über Honey & Bunny Productions, deren einen Teil, (Honey?) Martin Hablesreiter, ich auf einen Kaffee traf, beim Kunststrudel.


* Als ich mich Dienstagabend mit Anne traf, die u. a. für eine österreichische Wochenzeitung schreibt, erzählte sie, dass sie gerade einen Nachruf auf die Schauspielerin und Regisseurin Birgit Doll geschrieben habe. Wenig später zuckte ihr Smartphone und es hieß, sie sei doch nicht verstorben. Der Schauspieler und Intendant Alexander Waechter hatte ihren Tod bekannt gegeben, was dann von ihrer Schwester widerrufen wurde. (Was sind das für Geschichten!!??) Na, das war dann vielleicht ein hin und her. Recherche, Austausch mit Kollegen, Kontakt zur Kollegin der Folgeschicht.  Als ich diesen Beitrag gestern Abend fertig schrieb, kam dann die Nachricht vom Tod von Birgit Doll. Mit Nachruf im Standard. In der Wochenzeitung steht er nun nicht. („Wer montags stirbt, hat Glück gehabt“)
Morbid, makaber, aber passend zu Wien.

 

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5 thoughts on “Wien. Zwei Theater, vier Museen und kein Todesfall*
  1. Liebe Ute,
    fabelhaft, dein Bericht!! Ich mag das sehr, mit dir durch Ausstellungen und sonstige Entdeckungen zu schlendern. Du hast so einen speziellen Blick!!!
    Ich war nur einmal kurz in Wien – vor Jahren. Und werde zum stARTcamp hinfahren. Da bin ich jetzt schon mal ein bisschen eingestimmt.
    Ja, die Albertina macht nen guten Job 🙂 Und es freut mich sehr, dass dort jemand aus der Kunstvermittlung das Social Media Ruder übernommen hat. Ich meine, das merkt man!
    Oh, ich bin ein großer Kubin-Fan! Die Ausstellung werde ich auf jeden Fall auch ansehen!!!
    Und ich lauere dann mal drüben beim Vogelsfutter, wann es noch mehr Wienberichte gibt.
    Herzlichst
    Anke

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