[Anke] Endlich war es wieder mal soweit: Alle drei Herbergsmütter machten einen Ausflug! Was leider nicht so oft vorkommt, wie wir uns das wünschen würden. Diesmal ging es mit der Bahn den Rhein südwärts. Besuch beim wunderbaren Arp Museum Bahnhof Rolandseck. Wir waren zu einem Treffen von der dortigen Pressefrau Claudia Seiffert und dem Kulturbüro Nr. 5 eingeladen, die im Arp Museum die Social Media Kanäle bespielen. Es gab eine Menge zu sehen, zu besprechen und sich auszutauschen. An dieser Stelle noch einmal tausend Dank für diesen schönen Aufenthalt bei euch!
Nachdem wir jetzt unsere gesamten Eindrücke verarbeitet haben und uns einigermaßen in der Krise orientiert haben, wollen wir über die Begegnungen, die Kunsterlebnisse und diesen tollen Ort berichten. Wir haben gedacht, dass es in diesen Zeiten ein bisschen dazu beiträgt, sich mit schönen Dingen zu beschäftigen. Und daraus vielleicht Kraft zu ziehen. Bitte passt auf euch auf und bleibt gesund! Das ist das Wichtigste.
Die Geschichte des Museums hängt mit dem Bahnhof Rolandseck zusammen. Der wurde im 19. Jahrhundert für die Ausflüge der feinen Herrschaft ins romantische Rheintal gebaut. Ein schnörkelig festlicher Bahnhof. Damals schon mit einer Terrasse zum Bewundern der Aussicht. Doch irgendwann war es nicht mehr schick, an den Rhein zu fahren. Man stelle sich mal vor: es gab sogar Zeiten, da wollte niemand mit Rheinblick wohnen! Und der Bahnhof stand nur noch unnütz herum. Bis sich in den sechziger Jahren ein Sammler, Galerist und Künstlerfreund das Kleinod schnappte und für mehrere Jahre zu einem Hotspot der Künstlerszene im Rheinland machte. Johannes Wasmuth hatte über viele Jahre Kontakte zu Künstlern aufgebaut und in Paris auch Hans Arp und seine Frau Sophie Taeuber-Arp kennengelernt. Es ist eine lange Geschichte, aber letzten Endes kam das wunderbare Arp Museum dabei heraus. Ein Neubau des Stararchitekten Richard Meier ergänzt den Bahnhof Rolandseck zu einem Kleinod am Rhein in der Nähe von Remagen.
Die Geburt der Erinnerung
Ein Highlight unseres Besuches vor ein paar Wochen war die Ausstellung „Salvador Dali. Hans Arp. Die Geburt der Erinnerung„. Eine Ausstellung, die spannende Verbindungslinien zwischen den beiden Künstlern zeigt. Ich bin übrigens kein Fangirl vom großen Dalí. Mich hat immer gestört, dass er heute als der Surrealist schlechthin gilt und viele der ursprünglichen Surrealisten gar nicht mehr so bekannt sind. Aber das habe ich mal ganz hinter mir gelassen und mich vorbehaltlos an der Ausstellung erfreut. Das Arp Museum hat die Ausstellung in einem Themenjahr geplant, das sie mit „Total surreal“ überschrieben haben. Ich finde es eine gelungene Idee, die unterschiedlichen Ausstellungen, die im Haus stattfinden, unter einen Hut zu bringen. So ist auch die Ausstellung mit alten Meistern in der Kunstkammer Rau mit einbezogen worden.
Hans Arp und Salvador Dali sind sich 1929 in Paris begegnet. Sie kommen aus ganz unterschiedlichen Richtungen, aber fühlen sich beide dem surrealistischen Manifest verpflichtet, das André Breton in diesem Jahr veröffentlichte. Die Trennung zwischen Traum und Wirklichkeit aufgeben, sich seinen Assoziationen und Impulsen aus dem Unterbewusstsein hingeben – bis heute wirkt dieses Manifest nach. Hans Arp kam aus der Dada-Bewegung und Dalí hatte das Surreale in seiner DNA – „L surréalisme, c’est moi! erklärte er!
Schnurrbärte unter sich!
Wenn ihr ein hervorstechendes Merkmal nennen solltet, das euch bei Dalí spontan in den Sinn käme, wäre das mit großer Wahrscheinlichkeit der Schnurrbart! Richtig? Und es ist eines der spannenden Entdeckungen in der Ausstellung, das sich über dieses Detail eine interessante Beziehung zwischen den beiden Surrealisten ergeben hat. Arp hatte 1926 ein Relief mit dem Titel MOUSTACHE SANS FIN geschaffen. Ein Schnurrbart ohne Ende. Das faszinierte Dalí, der sich seinen tatsächlich später als unverwechselbares Markenzeichen kultiviert hat. Ein sehr schönes Detail der Ausstellungsgestaltung: der Schnurrbart steht als Zeichen für alle Informationen zu Dalí, das ikonische organische Blobb für Arp. Auch die Kunstvermittlung hat den Schnurrbart als Anlass genommen, eine kleine Selfiestation aufzubauen.
Jonas Burgert: Sinn frisst
[Ute] Die zweite Sonderausstellung, die (noch bis zum 13. September 2020) zu sehen ist, ist die große Einzelschau von Jonas Burgert. Im Vorfeld unsere Besuchs fiel der Name natürlich ein paar Mal, aber ich hatte von dem Mann vorher noch nie gehört und irgendwie rauschte das ein bisschen an mir vorbei.
Dann stehe ich in dem Ausstellungsraum und Bäm! Kinnlade klappt runter. Total geflasht und schockverliebt. Ich habe in den vergangenen zwei Jahren sicher über 70 Kunstausstellungen gesehen, aber sowas passiert mir nicht oft. Das Gefühl etwas völlig neues, originäres zu sehen. Malerei ist nicht mein Lieblingsgenre und ich bin in der Regel auch skeptisch, wenn es um extrem großformatige Arbeiten geht. Ich unterstelle dann erst mal, dass da einer alleine mit dem Format beeindrucken will.
Aber das, was Burgert auf seine Leinwände zaubert ist wirklich mindblowing. Irgendwas zwischen Streetart, Hieronymus Bosch und Wimmelbildern. Die Szenerien wirken teilweise wie Bühnenbilder, düster, apokalyptisch aber gleichzeitig haben sie auch heitere und sehr lebendige Bereiche. Dunkle Ecken, wo man gar nicht ganz genau erkennt, was da rumliegt und passiert, neben knallbunten Figuren und Requisiten. Teilweise sind sie wie skizziert, an der Grenze zum Abstrakten, dann comicartig gezeichnet und akribisch detailliert, fast fotorealistisch gemalt.
Das Personal seiner Bilder ist auch schwer zu fassen. Zum Teil wirken sie wie eine Gollum Großfamilie, dann wieder, trotz einer gewissen Unheimlichkeit, sehr liebenswert, weil nach Kindchenschema mit großen Augen gemalt, die den Betrachter hypnotisch anschauen. Die Bilder scheinen hunderte von Geschichten und Geheimnissen zu bergen. Was geschah dort, wo kommen die Figuren her, was haben sie erlebt, was ist ihnen zugestoßen, was haben sie vor?
Die von Burgert gemalten Portraits geben ähnliche Fragen auf. Die Figuren sehen sich alle ähnlich, scheinen entrückt, aber ihr intensiver Blick lässt einen nicht los und alle tragen etwas geheimnisvolles mit sich.
Die Bilder haben mich so gefangen genommen, dass ich gar nicht dazu kam, mich näher mit den Skulpturen zu befassen – verdrehte (Burgert-) Welt – interessieren mich normalerweise Skulpturen viel mehr, als Gemälde.
Mitte Mai hätte eigentlich ein Künstlergespräch mit Jonas Burgert im Museum stattfinden sollen, auf das ich mich wie Bolle gefreut habe, denn ich war super neugierig auf den Menschen Burgert. Das wurde nun, aus nachvollziehbaren (COVID-19) Gründen, leider abgesagt.
[Edit] nach einigem hin und her, findt es nun doch am 5. September 2020 statt. Hurra!
Das Museum als poetischer Ort
[Wibke] Ähnlich wie etwa das Marta Herford ist auch das Arp Museum viel mehr als nur ein Ort für Kunst. Das Museum ist Kunst. Am Rhein. Im Wald. Wir erfahren, dass Reh und Fuchs hier ab und zu ums Gebäude schnüren. Ein poetisierter Ort. Und für mich die Begegnung mit Hans Arp. Seinen schillernden Sätzen begegnet man immer wieder. Und sie gehen eine perfekte Verbindung ein mit den Werken von Salvador Dalí, die noch bis zum 10. Januar 2021 am Rolandseck zu sehen sein werden.
Eine Begegnung mit der Seele des Hauses: Jupp. Ein Tunnel, Lichtkunst, Treppenhaus, Weite, ein Stuhl mit Blick in den nahen Wald. Entdecke! Schwebende Engel.
Ein Museum ist meiner Ansicht nach dann ein idealer Ort, wenn es einen mit sich selbst oder mit anderen und vielleicht der Welt in Kontakt bringt. Wo bisher Unbekanntes wie die Kunst von Jonas Burgert unversehens nah rutscht, vertraut wird. Wo vermeintlich allzu oft Gesehenes wie Dalí in einem anderen Kontext zu sehen, zu hören (!) ist, sich zusammen mit der Sprache von Hans Arp neue Räume öffnen.
Es war ein Tag der Begegnung, des Austausch, des freudigen Miteinander und einander Entdeckens. Ein letzter Blick auf den Rhein, der hier die berühmte Rheinromantik aufleben lässt.
Worte von Wunderwanderungen.
Worte auf Wanderungen.
Flockenworte.
Lichte Worte entflohener Blumen.
Worte von schwebenden Bergen
oder wenn Sie dies übertrieben finden
Worte von Wolkenbergen.
Aus: Hans Arp, ich bin in der natur geboren, Arche Verlag
Vielen Dank für euren Besuch und diesen sehr schönen Text! Freut uns sehr, dass es euch so gefallen hat 🙂 Liebe Grüße aus dem Arp Museum.
Ganz lieben Dank, Ella! 🙂