Kreativmaschine

Wenn zuhause die Kunst einzieht: #wastingtimewithart #kunsthalleathome

Kunst zu Gast im Alltag: Seit einer Weile bespielt die Kunsthalle Karlsruhe das Hashtag #kunsthalleathome. In einer Videokonferenz mit Tabea Schwarze von der Kunsthalle haben wir uns gefragt, was wohl passierte, wenn man die Werke (oder Teile) der Sammlung zuhause hätte, im Wohnzimmer, im Homeoffice. Die Online-Sammlung ist momentan zugänglich. Doch zur Kunst in die Kunsthalle selbst kann man dieser Tage nicht. (Für spätere Internetarchäolog*innen: Die Museen sind aktuell wegen der Coronavirus-Pandemie geschlossen.) Und so sprach die Kunsthalle eine Einladung an uns aus …

Snippets – das sind kleine Details aus Kunstwerken der Kunsthalle Karlsruhe. Ihre digitalen Stellvertreter wurden so bearbeitet, dass man sie ganz fein ausschneiden kann. Jeweils ein Päckchen mit ausgewählten Snippets landete bei uns Herbergsmüttern. Die Freude war groß.

Wir beschreiben hier, heute und in den nächsten Wochen, was diese Kunst-Details jeweils mit uns gemacht haben, als wir sie in unsere Heimbüros, Wohnzimmer und Küchen haben einziehen lassen. Inwieweit sie uns inspirieren konnten, welche Ideen oder Gedanken entstanden, wie diese Gäste unseren Alltag verändert haben: Wir beobachten, wie die Snippets auf unsere Kreativität wirken und welche Wege zur Kunst und zu uns selbst wir dabei finden. Wir verschwenden lustvoll unsere Zeit – #wastingtimewithart.

Wibke: Herantasten und Inspiration

Das liegt er nun vor mir, der Frauenschuh. Das Snippet aus dem Werk von Charles William Hamilton. Während ringsum Köln immer grüner wird, finde ich es sehr schön, mit einer Pflanze zu beginnen. Eine Orchidee, lese ich nach. Was machen wir nun miteinander?

Sämtliche Kreativität zieht sich in dem Moment furchtsam und im Vorfeld erschöpft zurück, wenn ich an vermeintliche Erwartungen anderer denke. Oder ihr Urteil. Ich schaffe mir als einen Raum, in dem der Gegenstand der Betrachtung mein wird, einen intimen Raum, einer, in dem eine Liebesbeziehung auf Zeit entstehen kann.

Beim Nachlesen über den Frauenschuh, dessen Name mich als Erstes angesprungen hat, entdecke ich noch weitere Namen, die dieser Pflanze landläufig gegeben wurde: Ankenbälli, Maienschellen, Pfaffenschuch, Herrgottsschühli, Butterballen, Hosenlatz, Schafsäcka. Venusschuh. Unserer lieben Frau Schuchlein. Eine Verbindung entsteht. Beim Betrachten des ausgedruckten und ausgeschnittenen Abbilds eines Abbilds der Pflanze in meiner Hand spreche ich diese Trivialnamen vor mich hin und bei jeder Bezeichnung verändert sich mein Blick. Vor meinem inneren Auge klappen Geschichtsschnipsel auf, wie diese Namen entstanden sein können, wer sie, offen oder heimlich, ehrfürchtig oder verschmitzt, verwendet haben könnte.

Mein Weg zu einem Bild führt über innere Bilder. Mithilfe von Sprache, mithilfe von Geschichten mache ich mir dieses Snippet, diesen Kunstschnipsel zu eigen und ergreife die Hand in das Schauen, in die Naturkunde, in eine andere Zeit und den Blick damals auf die Natur, in das Leben und Arbeiten eines Künstlers, über den man wenig findet.

Ein Kunstschnipsel zog ein, in mein Zuhause. Im Wissen, dass sein Anker in der Kunsthalle Karlsruhe ist. Nun ist es auch mein Frauenschuh, hier wie dort.

Anke: Kontext und Erinnerung

Nachdem Wibke mit ihrer Wortspielerei schon den Fokus auf den Frauenschuh gelegt hatte, hab ich auch erst einmal der Bedeutung dieser Pflanze nachgegoogelt. Es klang etwas in meinem Hinterkopf auf, dem ich nachspüren wollte. Erst einmal weg vom eigentlichen Objekt zog ich eine weite Schleife – ich wollte einen Kontext herstellen, an den ich anknüpfen konnte. Gleichzeitig faszinierten mich die satten Farben und das Pflanzenthema an sich. Meine Recherche brachte mir direkt beim ersten Treffen die Erinnerung zurück: Das Aufkommen der wilden Orchideen im Weserbergland, der Landschaft, die mein Vater so liebte. Und jetzt fiel mir auch wieder ein, dass er mir vom Frauenschuh erzählt hatte. Davon, dass der auf der roten Liste bedrohter Pflanzen steht. Und wo er bevorzugt zu finden ist. Jetzt wuchs mir das kleine ausgeschnittene Pflänzchen aus Papier direkt ans Herz.

Der Frauenschuh ist eine ungewöhnliche Blume und das Detail aus dem Kunstwerk betont die geriffelten satt-grünen Blätter, hebt diese bollenartige gelbe Blüte hervor. Ich wollte das zunächst einmal ganz ruhig betrachten und legte die Pflanze auf einen Keramik-Teller, der bei mir auf einem antiken Beistelltischchen steht. Farben und Texturen passten hervorragend zusammen.

Nachdem ich also zunächst eher klassisch mit dem Detail umgegangen war, überlegte ich, ihm mehr zuzutrauen. Es durfte aus dem Fenster gucken, frische Luft in meinem Zitronenbäumchen auf dem Balkon schnappen und plötzlich hing es neben meinen Kaffeetassen an der Wandleiste. Irgendwie hatte das was Surreales. Und dann war da Max Ernst in meinem Kopf. Der Meister der Collage. Mich regen kleine Details besonders an, verschiedene Realitäten miteinander zu verbinden.

Und weil ich so den ganzen Tag über mit dem Frauenschuh durch meine Wohnung spaziert bin, suchte ich nach einem schönen Abschluss. In meiner Phantasie hatte der Frauenschuh ein Eigenleben entwickelt. Wollte ich das wieder einfangen? Plötzlich klang Musik in meinen Gedanken auf.

Ute: alte Liebe Stopmotion

Mit einem Blick auf mein kümmerliches Basilikum und das Wissen um meinen nicht grünen Daumen, war für mich sofort klar, dass ich den Frauenschuh wachsen lasse. Ich habe meine alte Liebe Stopmotion Animation wiederentdeckt. So hat mich die Inspiration zum Frauenschuh weiter inspiriert.

 
 
 
 
 
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Der Frauenschuh.

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Zu anderen Zeiten wohnt dieser Frauenschuh auf dem Werk von Charles William Hamilton. Anke grub sich in die Vita dieses Künstlers hinein, aber es ist rätselhaft: „… die Familiensaga der de Hamiltons ist undurchschaubar. Anscheinend ist aber Franz der Onkel. Und Charles William hatte zwei Brüder, die auch Maler waren. Alle machten in Sachen Stillleben. Charles William wurde auch der Distel-Hamilton genannt, weil er die wohl auch gerne malte. Die ganze Bagage stammte aus Schottland.


Ute: Der Narr

Manchmal springt einen die Inspiration sofort an. Mit dem Narr ging es mir so. Zum einen, durch seine lebendige, gestische Haltung, zum anderen sah ich ein paar Tage zuvor die „Homeoffice“-Arbeit von Banksy. Der hatte seine typischen Ratten in sein Badezimmer gemalt und dieses so arrangiert, als hätten es die Ratten verwüstet. Das ist natürlich doppelt witzig, dass der Streetartkünstler in Zeiten von Corona, nun auch Zuhause arbeiten muss.

 
 
 
 
 
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Mir war sofort klar, dass ich den Narr durch meine Wohnung toben lassen würde. Ich las noch etwas über den Narr, den ich eigentlich mit Hofnarr und auch mit Karneval assoziierte, also zur Belustigung. Allerdings auch mit einer tragischen Note, denn es waren im Mittelalter eben auch kleinwüchsige oder missgestaltete Menschen, die als Narr verschrieen oder verlacht wurden. Neu für mich war, dass er im frühen Mittelalter eine negative Figur war, die dem Tod oder Teufel nahestand. Er befand sich außerhalb der Ständeordung, also ein Outlaw, ein Underdog. Das macht ihn mir aber auch sympathisch in seiner Ambivalenz, die ja auch eine gewisse Freiheit impliziert.

Ich suchte außerdem noch nach Sprüchen und Gedichten zum Narr und war entzückt darüber, was ich fand. Diese Texte beflügelten meine Phantasie dann noch mehr, was der Narr alles in meiner Wohnung anstellen könnte.

Theodor Storm: „Der Narr“

Der Narr macht seine Reverenz,

Der gute derbe Geselle!

Ihr hörtet wohl von weitem schon

Das Rauschen seiner Schelle.

Als alter Hausfreund bin ich ja

Notwendig bei dem Feste;

Denn hörtet ihr die Klapper nicht,

Euch fehlte doch das Beste.

Ein tücht’ger Kerl hat seinen Sparrn!

Das ist unwiderleglich;

Und hat das Haus nicht seinen Narrn,

So wird es öd und kläglich.

Hier war ich manchen guten Tag

Gastfreundlich aufgenommen;

Heil diesem vielbeglückten Haus,

Wo auch der Narr willkommen!

Christian Wernicke

Ein rechter Geck ist mehr, als mancher Schulfuchs, wert,

Und man lernt mehr von ihm, als auf der hohen Schule;

Der hustet Wort‘ und schwitzt vor Weisheit in dem Stuhle,

Weil jener, wenn er tanzt, singt, lachet, spricht und schwört,

Verkehrt, was ansteht, zeigt. Die Weisheit dort besteht

In vielen Worten, hier in einem krausen Zug:

Dort lernt man sich zum Narr’n, hier lachet man sich klug.

Ich räumte dem Narr hinterher, bevor er dann von mir Besitz ergriff.

 

Wibke: Schnipselwissen anhäufen

Nachdem der Narr bei Ute durchgeturnt war, war mein Blick auf ihn zunächst kummervoll. Gerade wenn man von der Idee und ihrer Umsetzung bei jemand anderem entzückt war, kann das zwei Dinge zur Folge haben:

1. Man ist versucht, das Gesehene, Erlebte, Gelesene oder Gehörte nachzuahmen. Eine Idee aufzugreifen, das tun wir alle tagtäglich in der ein oder anderen Form, mal bewusst, mal unbewusst. Eine Idee wie auch ihre Umsetzung zu kopieren, geht jedoch selten gut und ist meist seltsam langweilig.

2. Man wendet sich entmutigt ab und denkt sich „Das schaffe ich nie!“

Aber es gibt einen dritten Weg: Man atmet und nimmt sich Raum und Zeit, einen eigenen Blick zu entwickeln. Und tut etwas Naheliegendes. Ich schnappte mit also den Schnipsel und machte mich mit Narr in der Hand auf meinen täglichen Weg ins Heimbüro. Und wie so oft, wenn man in Begleitung unterwegs ist, kreisen die Gedanken um den anderen und darum, was uns verbindet.

Während meine Schritte den vertrauten Weg finden, überlege ich, was ich eigentlich über den Narr an sich weiß. Dieser Narr hier ist von Franz Isaac Brun. 16. Jahrhundert. Der Hofnarr, natürlich, einer meiner Lieblingsfilme mit Danny Kaye. Von 1955. Der Kelch mit dem Elch, der Becher mit dem Fächer. Der Hofnarr am Fürstenhof, der für Belustigung sorgte, mitunter Prellbock war, aber auch der, der die Wahrheit sagen durfte, ohne Strafe fürchten zu müssen. Eine Rolle außerhalb des Systems. Nun, in der Theorie.

Der Narr als Sinnbild für Vergänglichkeit in der Kunst des Mittelalters. Memento mori, gedenke des Todes. Ihm wurde Nähe zum Teufel unterstellt. Der Teufel, der in Goethes Faust II als Hofnarr auftrat. Die Dadaisten wurden als Narren bezeichnet. Oft gelten ohnehin Künster:innen als Narren, nun, mitunter haben sie vielleicht selbst den Eindruck, die Gesellschaft narrte wiederum sie.

Zahllose Sprichwörter und Redewendungen gibt es zum Narren in unserer Sprache. Jemand ist in einen anderen oder in etwas vernarrt. Eine närrische Liebe, gar. Eine Narretei. Liest man quer, was sich über den Narren findet, so scheint man sich nie so ganz entscheiden zu können, ob der Narr nun für Dummheit oder Weisheit steht. Und vielleicht steht er für das zutiefst Menschliche, nämlich das Leben im Spannungsfeld dazwischen.

Mein Narr, er zeigt, er prangert an, er belustigt sich, er spottet und tanzt mit seiner schellenbehangener Narrenkappe durch meinen Tag. Für Geschwätzigkeit stünden die Schellen, lese ich noch, und die Marotte, das Zepter in seiner Hand mit seinem eigenen Konterfei, für Eigenliebe. Ein unbequemer Gast, je mehr ich über ihn lese. Aber in guter Weise. Und so wurde mein Tag mit dem Narren eine Tagesreise in die Geschichte einer bemerkenswerten Figur der Kulturgeschichte.

Anke: Querdenken für das Storytelling

Es ist ein spannendes Experiment, das mit dem Durchdeklinieren der Schnipsel. Man achtet ja auf das, was die beiden anderen machen. Und bekommt immer wieder neue Impulse. Das ist übrigens auch eine der Tugenden, die ich an Social Media so mag! Aus allen Ecken kommen Anregungen, mit Reaktionen lässt sich wieder weiter stricken.

Und so ein Narr? Diese kleine Figur reizte natürlich sofort eine Inszenierung in einer Geschichte an. Es passierte das, was man gerne den Frankenstein-Effekt nennt: man erweckt etwas zum Leben. Wegen der hutzeligen Zwergengestalt des Narren war sofort das Setting klar: Märchen! Märchen eignen sich per se immer gut als Vorlagen zum Storytelling. Hier bot sich mir das Rumpelstilzchen an. Und notwendige Requisiten für ein Instagram-Shooting hatte ich auch im Hause.

Ich bin ein großer Fan des lateralen Denkens. Das heißt, nicht den linearen Weg zu nehmen, wenn man eine Aufgabe zu erfüllen hat. Sondern vielmehr parallel in vielen möglichen Szenarien unterwegs zu sein. Bei dieser Kreativtechnik kommt es auf eine größtmögliche Offenheit an. Offenheit gegenüber jeglicher sich bietender Anregung. Und dann die einzelnen Assoziationen aufgreifen, um sich dem Ziel entgegen zu mäandern.

Das habe ich mir auch beim Narren-Spiel zunutze gemacht. Naheliegend war es hierbei auch, sich sprachlich mit dem Narr zu beschäftigen. Und über verschiedene Komposita seines Namens (Narren-Schiff, Narren-Spiegel, Narren-Kappe) kam mir die Idee, das in Form von Bilderrätseln umzusetzen. Damit wurde gleich die geschätzte Community genarrt.


Der Narr

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Mit dem Narr des Kupferstechers Franz Isaac Brun. Ein irrlichternder Gast aus dem 16. Jahrhundert. Franz Isaac Brun wurde wahrscheinlich 1535 geboren, lebte und arbeitete hauptsächlich in Straßburg. Er galt als Kleinmeister. Klein nicht im wertenden Sinne, sondern weil Franz Isaac Brun kleine Formate bevorzugte. Die Maße des Narren: H 7cm B 5cm. Man sieht ihn förmlich über einen Tisch gebeugt auf seiner Kupferplatte kratzeln. Dürer-Fan, übrigens!


Wibke: Tu‘ Blumen dran!

Eine liebliche Erscheinung, still und mit scheinbar demütig gesenktem Blick: Das kniende Mädchen, einen Blumenkorb ausschüttend. Sie traf mich an einem Tag an, den ich kratzbürstig gestimmt begann. Ich nahm um mich herum zu viele Bilder und Geschichten des Gelingens wahr, während ich selbst … Nun ja. Selbstzweifel sind dieser Tage mein Gemüse. Aber ist nicht alles, was man nicht schafft, viel schöner, wenn Blumen dran macht?

Und so ließ ich das Blumenmädchen alles, was unerledigt, ungeschafft oder ein bleibendes Werk des Unperfekten ist, mit Blumen verschönern. Ich hatte eine nur halbfreundliche Stimme zu ihr im Ohr, die scheinheilig darauf hinwies, was alles nicht gemacht oder geschafft ist.

Doch im Tun verwandeltete sich die Stimme: Sie gewann etwas ehrlich Tröstendes, auch Widerborstig-Fröhliches. Warum nur bekam man eigentlich so oft nur Blumen, wenn man etwas gut gemacht hatte, etwas absolviert oder geschafft hatte? Warum nicht mal Blumen für all das, was man eben nicht hinbekommt, ob aus Gründen oder einfach, weil die Aufgabe einem nicht liegt?

So wurde mein Blumenmädchen im kreativen Prozess und in der Rezeption durch andere (danke für Eure Nachrichten und Kommentare via DM!) eine Rebellin des Alltags, insbesondere im Corona-Schlamassel. Mich lehrte dieser Kunstschnipselbesuch einiges über den Gang, den der Dialog mit dem, was man kreiert, und denen, die das wahrnehmen und sich dazu äußern, nehmen kann.

In diesem speziellen Fall war es für mich auch ein heilsamer Verlauf. Der Tag begann kratzbürstig und endete versöhnlich und heiter, ja, im Gefühl, etwas verstanden zu haben.

Anke: Plötzlich eine Challenge

Dieses ganze Corona hatte immerhin einen Vorteil: es kam Kreativität aus allen Ecken und übernahm das Ruder der Kunstpräsentation von Faktenwissen und Marketing! Hurra, freundliche Verstörung und Spielkinder aller Orten. Wer noch nichts von „Tussen Kunst en Quarantaine“ gehört hat – schnell ab nach Instagram. Das ist einfach nur toll. Auch die Challenge, die vom Getty Museum ausgegangen war, ist ein nimmer endender Quell der Freude.

Weil es mittlerweile so viele gibt, die sich trauen, hat sich auch die Kulturtussi getraut! Immerhin hat mir ja mein Pseudonym im Netz schon vor Jahren geholfen, aus der engen Kunsthistorikerinnen-Jacke zu schlüpfen und mit Kunst spielerischer umzugehen. Aber ich muss gestehen, ich hab mich noch nicht richtig getraut, meine Person so bewusst ins Zentrum einer Inszenierung zu packen. Da kam mir der Schnipsel mit der wunderbaren Blumentussi ganz recht. Und die Entscheidung war gefallen: Ich mache das!

Ute: Lasst Blumen sprießen

Beim lieblichen Blumenmädchen war ich einfach nur eigennützig: Ich wollte einfach nur noch eine Stopmotion Animation machen, Ich erinnerte mich an meine Glanzbildersammlung und ließ diese auf einer gestickten Blumentischdecke meiner Oma sprießen.

 
 
 
 
 
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Kniendes Mädchen, einen Blumenkorb ausschüttend”

von Marie Ellenrieder (1791-1869)

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Marie Ellenrieder wurde 1813 als erste Frau zum Kunststudium an der Kunstakademie in München zugelassen! Privileg!!
Sie war übrigens taub! Sie lehnt bewusst Ehe und Kinder ab und widmet sich ausschließlich der Malerei. Sie war Zeitgenossin von Goethe, gehörte zum Umfeld der Nazarener in Rom.
„Das Bild wird als religiöses Objekt gedacht, dessen Oberfläche so perfekt zu sein hat, als sei es nicht von Menschenhand gemalt, als sei nicht einmal das Medium Malerei im Spiel (…) Diese Bescheidenheit gehört zum Credo wie die Reinheit der Linie als Ausdruck der reinen Lehre und die „Ächtheit“ der Empfindung bei diesem Ausdruck.“ – so sagen die Kunsthistoriker ?
Idealisierung ist das Stichwort für die Malerei dieser Zeit.
Insofern hat Wibke das Motiv mit „Mach Blumen dran“ eigentlich perfekt kunsthistorisch interpretiert!!!!!
Auf Wikipedia steht, dass sich Marie Ellenrieder in späteren Jahren immer mehr ins Privatleben zurückgezogen hat. Sie war vorher eine erfolgreiche Hofmalerin!!! Unser Blumenmädchen ist aus dem Jahre 1841, wo sie wieder versuchte, frischen Mut zum Malen zu gewinnen.
Marie starb 1869 an einer Erkältung!!!!! Immerhin im hohen Alter von 72 Jahren.


Anke: Meine Trigger fürs kreative Denken sind meist Bilder im Kopf

Da kam also ein Leopardenfell ins Spiel! Ich hatte früher ein paar geniale Handschuhe im Leopardenfell-Design. Die habe ich getragen, bis sie auseinander gefallen sind. Die Farben, das extravagante Muster war einfach zu gut. So blitzte auch der erste Impuls auf, den ich für mein #wastingtimewithart mit dem Leopardenfell gegriffen habe. Muster! Und wer mich kennt, weiß, dass ich zu gewagten Mustermixen und Farbkombis neige 🙂 Deswegen habe ich mich dann ordentlich ausgetobt. Dass das für manch anderen aber oft zu Augenschmerzen führen kann, weiß ich auch. Deswegen habe ich gleich mal in einer Insta-Abstimmung, welche Musterkombi am besten bei der Community ankommt.

Das Zusammen von scheinbare unvereinbaren Mustern löste den Assoziationskreisel aus. In den vermischte sich dann zusehends die Frage, was denn diese komische Ansammlung an Leopardenfellen zu bedeutend hat, die Wilhelm Trübner damals im Jahr 1895 gemalt hat. War er auch vom Muster fasziniert? Der Oberfläche? Fast zum Anfassen gut hat er sie hinbekommen. Dann schlich sich von hinten noch ein verschüttetes Wissen über die Ikonographie von Leopardenfellen ins Hirn! Verdammt, ich kann die Kunsthistorikerin doch dauerhaft nicht unterdrücken. Machtsymbol, aber auch Attribut von Dionysos. Das ist echt eine krude Mischung. Dieser habe ich dann noch in einer Collage Luft gemacht.

 

Wibke: LOLCats Evrywhare!

Am 7. Mai fand die Gesellschaftskonferenz re:publica erstmals im digitalen Exil statt. 2011 besuchte ich meine erste re:publica, ab 2013 war ich mehr oder weniger regelmäßig mit Talks und Moderation dabei. Doch mittlerweile haben wir uns auseinandergelebt: Im letzten Jahr verzichtete ich auf den Besuch, was ich auch in diesem Jahr hätte.

Ich erinnerte mich an die Talks und Erlebnisse, die für mich die re:publica lange ausgezeichnet hatte: Das große Herz für Unsinn und Experimentiergeist, für das, was digitale Räume eben auch ausmacht, nämlich Kreativität und Spiel. Geblieben ist davon eigentlich nur noch das gemeinsame Abschluss-Singen, das es auch diesmal in veränderter Form gab. Aber gut, die Rolle und die Funktion dieser nunmehr recht messe-artigen Großkonferenz hat sich verändert. Relevanz schafft mitunter Distanz, no offense.

Was bleibt: Unvergessen blieb für mich der Talk von Kate Miltner, die über LOLcats geforscht hatte und 2013 darüber höchst unterhaltsam und erkenntnisreich auf der re:publica sprach.

Nun kam das Leopardenfell aus der Kunsthalle Karlsruhe zu mir: Leopard, Raubkatze, Katze, Kätzchen, LOLcat! Ich beschloss, es wäre an der Zeit für eine Hommage an die Ur-Form der Katzenmemes.

Und so war mein Tag mit Leopard eine Reise in die Geschichte der Katzen-Memes, Internet-Archäologie, quasi.

Ute: Einrichtungstipps

Die Leopardenfelle von Wilhelm Trübner ließen mich an schwülstige, opulente Wohnungseinrichtungen des 19. Jahrhunderts denken, Kolonialismus, der Hang zur Exotik. Felle und Pelze sind ja in unserer Zeit glücklicherweise ein No Go, aber das brachte mich auf die Idee, etwas angestaubte Einrichtungsempfehlungen zu kreieren.


Leopardenfelle

von Wilhelm Trübner von 1895. Heute würde man sicher aus postkolonialistischer Sicht viele Fragen an solche Fell-Sammlungen stellen, die damals auch Ausdruck einer gewissen Exotik-Begeisterung gewesen sein müssen. Trübner, der sich zwischen Realismus und Spätimpressionismus bewegte, interessierte sich vielleicht für die Muster und Farben.


 

Ute: Verwandlung in der Küche


Beim Tisch und Stuhl von Herrn Trübner war ich immer noch bei meiner Interieur-Idee und ließ sie in meiner Küche erscheinen und in zeitgenössische Einrichtung verwandeln.

 
 
 
 
 
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Wibke: Ein Platz am Küchentisch

Da steht er, der Tisch. Im Raum. Vor meinen Augen. Ein Tisch. Holzstühle wie zuhause, am Küchentisch meiner Kindheit. Ein Tisch. Ich habe die verschwommene Idee, den Tisch ins Bücherregal nebenan zu stellen, also, in die Bücher, die Bücher, in denen ein Tisch eine Rolle spielt. Handkes Kaspar fliegt kurz durch, aber Handke, der geht ja einfach nicht mehr. Schweigen, das stünde ihm gut. Doch der Drang, sich zu äußern, er ist oftmals groß. Und braucht einen Ort.

Gespräche am Tisch. Tischgespräche. Die Bücher nebenan. Da fällt mir „Das Muschelessen“ ein, das erste Buch von Birgit Vanderbeke. Für diesen Text erhielt sie 1990 den Ingebor-Bachmann-Preis. Ich las das Buch vor über zwanzig Jahren zum ersten Mal. Eine trügerische Familienidylle zerbricht, als ein Vater eines Abends nicht pünktlich zum Muschelessen mit der Familie erscheint. Die Mutter und ihre Kinder sitzen am Tisch (so erinnere ich es) und beginnen zu reden. Und während sie am Tisch sitzen, gerät etwas in Bewegung, was sich nicht mehr aufhalten oder ungeschehen machen ließe.

Der Text pflanzte mir einen Gedanken ein, der mich seitdem immer wieder beschäftigt: Niemand geht aus einer Familie unbeschadet hervor. Sie prägt, so oder so, im Guten wie im Schlechten.

Und schon bin ich wieder am Küchentisch meiner Kindheit. Ein zentraler Ort der Familie. Dort steht er noch, der Küchentisch. Er ist aus Holz, ebenso die Stühle und die Eckbank. Aus bayrischem Holz, aus der Hand eines Tischlers, der mit meinen Eltern befreundet war. Er lebte dort, wohin wir lange Jahre im Urlaub waren.

Der Küchentisch. Dort versammelte sich immer noch alles, immer noch, zum Leidwesen meiner Frau Mutter, die uns Kinder lieber in der guten Stube hätte. Doch am Küchentisch fand und findet immer alles statt.

Ein Tisch. Ein Stuhl. Wenn das Bett für mich Fluchtburg ist, ist der Tisch, an dem ich sitze, mein Ort für Tischgespräche und Sammlung, innerlich und mit anderen. Krieg und Frieden. Essen und Trinken. Schreiben und Lesen. Sitzen und Sein.

Anke: Eine Sentimental Journey

Als ich diesen Kunstschnipsel mit Tisch und Stühlen in die Hände bekam, machte es sofort: Klick. Und ich sah eine muntere Kinderschar im Garten an einem Tisch sitzen, um den genau solche Stühle standen, wie sie auch auf Trübners Gemälde zu sehen sind. Der Zufall wollte es, dass diese Stühle noch in meinem Keller lagern. Mein Bruder hatte sie seinerzeit bei der Auflösung des Hauses unserer Großeltern an sich genommen und bei seinem Umzug nach Frankreich hier geparkt. Wie um einen magischen Zauber auszulösen, bin ich direkt runter in unseren Keller. Sozusagen, um durch die unmittelbare Begegnung mit dem Objekt eine Art Schlüssel für die Erinnerungen zu haben, die mit diesen Stühlen verbunden sind.

Dazu dämmerte es mir: Es existiert auch noch ein Foto, auf dem ich im Alter von ca. 8 Jahren mit meinen Brüdern auf diesen Stühlen sitze. Im Garten meiner Oma. Kennt ihr die berühmte Stelle aus dem Werk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“? Die, in der der Protagonist in eine Madeleine beißt und ein Schlückchen Zitronentee dazu nimmt. (Was ihn dann sofort in der Zeit zurück reisen lässt und all die Gerüche und Geschmäcker von damals hervorholt.)

So ähnlich habe ich mich beim Anblick der Stühle und des Fotos auch gefühlt. Ich spürte förmlich, wie wackelig die damals waren, diese Stühle. Sie waren recht einfach und grob zusammengezimmert. Als nächstes konnte ich den leckeren Butterkuchen von Oma schmecken und mich an den Garten erinnern, der in meiner Vorstellung viel größer war, als in Wirklichkeit. Wir tranken Kirschsaft!

Wie, um diesen Zauber festzuhalten, nahm ich den Schnipsel und legte ihn über das Foto. Es war perfekt.

Und wenn ich gerade darüber nachdenke, zu welchen sehr persönlichen Momenten mir diese Kunst-Snippets bereits verholfen haben, dann wird mir auch wieder bewusst, warum ich mich immer schon gerne mit Kunst beschäftigt habe. Nämlich wegen dieser geheimen Superkraft, die in ihr wohnt und die auch von jedem noch so winzigen Detail ausgehen wird.

Kunst kann einen so tief berühren und zum verborgenen Kern der eigenen Erinnerungen und Erlebnisse führen. Dass Wibke anhand unseres Tisch-Stühle-Details eine ganz ähnliche Reise unternommen hat, ist ein weiterer Beweis dafür!


Tisch und Stuhl

Den Trübner Wilhelm habt ihr ja schon bei den Leopardenfällen kennengelernt. Den Kaffeetisch hat er 1909 an den Starnberger See gestellt!! Und wenn man in die Literatur schaut, die zu diesem Bild aufgelistet ist, dann liest man dort etwa von P. Bachér: Trotz allem glücklich sein. Wofür zu leben lohnt.

 


Anke hat an Goethe gedacht

Zecher, Kneipenkumpane, lustige Gesellen. Weinselig allesamt. Da geht es bestimmt nicht zimperlich zu. Allzu sympathisch waren mir die Männer nicht, die mir via Schnipsel ins Haus kamen. Muss ich zugeben. Da ich vor einiger Zeit die Verfilmung der berühmten Theater-Aufführung von Goethes Faust – die mit Gustav Gründgens – verfolgt habe, war mir noch vor Augen, wie Mephisto dort mit den Tuppessen im Auerbachschen Keller verfuhr. Und schon war klar: die Anregung nutze ich und versetze den Schnipsel in eine der berühmtesten Kneipenszenen der Literaturgeschichte (schöne Grüße an das Goethe-Morgenmagazin an dieser Stelle).

Wibke geht mit Männern zum Fest

„Und ebenso wird die Seele, wenn ihr nicht vor Augen tritt, wozu sie verpflichtet ist, niemals etwas tun, sie wird niemals zu einer Tat getrieben, niemals in Bewegung gesetzt. Wenn sie aber irgendwann etwas zu tun im Begriff ist, ist es unerlässlich, dass ihr das, was ihr vor Augen tritt, als wahr erscheint.“

Cicero begleitet die feiernden Männer, meine Gäste aus der @kunsthalle_ka, ins Geschehen. Das Fest – ein sozialer Ort, ein Ort der gesellschaftlich akzeptierten Exzesse und Gefühle. Verschwendung, Ausgelassenheit, Musik, Tanz, aber auch Sinnstiftung, Verbundenheit einer Gesellschaft. Wie werden wir Feste feiern, eines Tages? Welche Idee, welches Weltbild werden unseren Festen künftig zugrundeliegen?

Ich schneide, ich klebe, ich schnipsele, ich sehe ein Abbild meiner Gedanken. Und hole mir die Stoiker zu Hilfe. Hi, na, Cicero?! Stoische Ruhe. Stoische Gelassenheit. Ist sie zu finden?

Ich blicke auf meine drei Gäste und erblicke, ach, drei Seelen in meiner Brust: Der eine hält inne und denkt nach über das, was war. Der eine kennt kein Morgen und hoch die Tassen! Der Dritte blickt in ein unwägbares Morgen. Und sehnt sich raus.

Mir fiel zu den drei Männern zunächst überhaupt nichts ein. Ich sah sie an. sie feierten zurück. Stille. Ich ließ also alle Bemühungen um eine Idee fahren, suchte mir Sachen zum Zerschnipseln zusammen (ein alter Artcologne-Katalog, eine Zeitschrift, ein Krikelkrakelbuch) und sprang rein ins Auseinanderschneiden und Wiederzusammenfügen. Und dann lag das plötzlich noch das eigentlich aussortierte Buch mit Texten der Stoiker …

Ute und die feiernden Männer

Nachdem wir die Snippets sortiert und aufgeteilt hatten, wer wann was macht, fielen mir die feiernden Männer am Vatertag zu. Wie (scheinbar) passend!

Vatertag ist ja in meinen Augen eine alberne Einrichtung, die ich nur mit saufenden und betrunkenen Männerhorden assoziiere.

Als ich über David Teniers d. Jüngeren las, erfuhr ich, dass er u. a. besonders bekannt war für die Entwicklung des Bauerngenres und Schenkstubenszenen, diese bei ihm aber immer maßvoll, minder derbe und gelassen dargestellt werden. „Seine Bilder sind durch gemütlichen Humor, eine reiche, wohldurchdachte Komposition, eine leuchtende, frische, bisweilen an das Bunte streifende Färbung, durch geistreiche Charakteristik und frische Lebendigkeit der Darstellung ausgezeichnet.“ [Wikipedia]

Also hinfort mit der blöden Vatertagsassoziation!

Ich ließ die drei mäßig feiernden Männer durch die Kunst feiern. Ich blätterte durch meine Kunstbücher und Kataloge und war ganz erstaunt darüber, wie wunderbar sich die Jungs farblich in die Bilder integrieren und eine neue Geschichte im Bild entsteht. Dann stellte ich fest, dass sie allen Bildern eine fröhliche Note gaben. Ähnlich wie bei Wibkes „tu Blumen dran“.

Ein Schiff geht unter? Prosit! Bathseba bittet David um den Thron für Salomon? Hurra! Eine Revolution? Cheers! Feierabend in einer Winterlandschaft? Jawoll!


drei feierwütige Gesellen

Wer hätte das gedacht, dass David Teniers der Jüngere (1610-1690) unsere drei feierwütigen Gesellen 1648 nicht in irgendeiner düsteren Spelunke gemalt hat. Sondern dass sie draußen an der frischen Luft bei einem Dorffest saßen. Herrliches Wimmelbild aus dem Goldenen Zeitalter, dessen kleiner Schnipsel uns alle möglichen Umgebungen vorstellbar sein ließen.
Das einfache Volk hat Spaß!
Übrigens: falls ihr es nicht wusstet: Kein geringerer als Peter Paul Rubens war der Trauzeuge von Terniers. Das waren schon damals geniale Netzwerke, die unter den Malern gestrickt wurden! In diesem Sinne erheben wir unser Glas.


Wibke: Hüa!

Hüa! Pferde sind in meinem Leben, seitdem ich denken kann. Ich bin nicht ohne Pferde denkbar. Sie haben mich entscheidend mitgeprägt. Im ersten Moment überfordert mich also dieses erbost blickende Pferd. Zuviele Geschichten drängen ans Licht, Wissensschnipsel wollen zum Kunstschnipsel. Doch meiner Erfahrung nach klappen bei Geschichten vom Pferd alluzuoft die Ohren der Umstehenden runter. „Ach, das Pferdemädchen“ und man versucht, sich eilig abzugrenzen. Dabei haben (fast) alle ihre Pferdegeschichten. Und das Pferd hat die Geschichte des Menschen entscheidend geprägt.

Ich machte also mit dem Pferdeschnipsel einen Ritt (Link führt zur Story bei Instagram) durch ein wenig Geschichte von Mensch und Pferd: Im Film, in der Wissenschaft, in der Literatur. Mich führt die Beschäftigung mit Kunst oft in die Geschichte, entweder in die, in der das Werk entstand. Oder ich lasse mich vom Motiv leiten. Die Kunstschnipsel sind mir hierbei oft Verbündete an meiner Seite. So auch das ernst blickende Ross.

Die Geschichten von Black Beauty und Fury kennen vermutlich alle, die mit (West-)Fernsehen aufgewachsen sind. Viel Auswahl gab es für Kinder damals nicht und deshalb saßen wir beinahe alle vor denselben Serien. Außerdem waren Serien und Filme mit Pferde noch längst nicht so auf die Zielgruppe der pferdeverrückten Mädchen gestrickt, wie das etwa heute mit Ostwind oder Bibi & Tina der Fall ist.

Wir treffen also Highland Dale, ein Pferd, das berühmte Rollen spielte und den Oscar für Tiere erhielt. Die schöne Burmese, Lieblingspferd von Queen Elizabeth II. Den klugen Hans, der Wissenschaftsgeschichte schrieb. Pegasus, das geflügelte Pferde, das auch Sinnbild der Dichtkunst ist.

Ute: Das Pferd

Bei mir entwickeln ich die Dinge oft beim machen. An dem Pferd von Hans Baldung Grien fand ich die Stellen besonders interessant, wo die Linien auf Flächen stoßen und meine erste Idee war, mikrokleine Details zu nehmen und sie dann nachzuzeichnen. Da stieß ich aber schnell auf technische Probleme, weil ich mit der miesen kleinen Handykamera gar nicht nah genug an die Zeichnung kam, um scharfe Details herauszufischen, also habe ich das fotografiert, was maximal ging. Bei der Zusammenstellung der Detailfotos erinnerte ich mich dann an dieses Schiebespiel – für das es scheinbar keinen besseren Namen gibt – ich habe sie früher meist irgendwo auf der Kirmes gewonnen und habe sie leidenschaftlich gerne gespielt. Mein Posting bei Instagram zeigt, dass es manch anderer auch so ging. 🙂

Anke: Das Pferd macht eine Heldenreise

Eigentlich geschah es ohne Absicht. Aber in der Rückschau ist es eine Heldenreise geworden. Und bestätigt mal wieder: alle großen Geschichten gehen auf dieses Prinzip zurück. Wir haben damit ja auch schon öfter experimentiert. Eigentlich habe ich mich aber für meine Idee für die Geschichte mit dem Pferd inspirieren lassen von einem Kinderbuchklassiker. Vielleicht hat es jemand von euch schon herausgefunden. Ein Lieblingsbuch von Wolfgang Erlbruch. Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat. Um dies herauszufinden, besucht er sämtliche Tiere in seiner Nähe und fragt sie immer wieder dieselbe Frage. Und natürlich war dieser genervte Blick des Pferdes von Hans Baldung Grien eine Steilvorlage, die wir alle drei sofort übernommen hatten.

Literarische Vorlagen helfen, Ideen für Geschichten zu entwickeln. Genauso, wie Filme. Und ich machte ein Dachs-Plüschtier, das bei uns zu Hause wohnt, kurzerhand zum Mentor, der in jeder guten Heldenreise vorkommen muss. Und die idealtypische Heldenreise ist einfach immer noch Star Wars. Es gibt sicher noch andere Mentoren in dieser Geschichte. Aber keine hat bis heute solch einen Eindruck hinterlassen, wie diese alte Yedi Yoda. Und deswegen musste der Dachs seine typische Sprache übernehmen. Das Transzendentale durfte bei der Heldenreise des Pferdes natürlich nicht fehlen. Und dann spielte es am Ende auch keine Rolle mehr, dass die Ausgangsfrage, die das Pferd antreibt, gar nicht beantwortet wurde. Und super auch, dass ich bei Instagram ein passendes Gif gefunden habe, das glatt eine Animation unseres Pferdes hätte sein können.


Pferd von Hans Baldung Grien

Es entstammt einem Holzschnitt mit dem Titel: Der behexte Stallknecht! Sehr mysteriöses Bildthema. Aber es sind ein paar Spezialitäten vom Grienhans hier versammelt. Hexen. Und der zwingende (hier etwas angepisst und böse) Blick aus dem Bild. „Baldung ist gefährlich. Die Verführung seiner Bilder liegt mitunter darin, dass man glaubt, in ihnen Anspielungen zu finden, die vollgültig zu entschlüsseln seien.“ So heißt es im Katalog. Aber Ätsch. Mit Entschlüsseln ist nix. Bleibt letztendlich alles im Mysteriösen.

Der tote Stallknecht geht auf eine Sage zurück, in der eine Stallhexe eine Rolle spielt, die sich in Pferde verwandeln kann. Und natürlich kommt es irgendwo auch zum Pakt mit dem Teufel. Letzten Endes ist aber alles verwirrend und bleibt es auch. Das Bild regt zu so vielen Spekulationen an. Und ist ein richtiges Mystery-Spiel. Das mochten auch schon die Leute in früheren Zeiten und deswegen war dieser Holzschnitt so beliebt. Übrigens an der Wand des Stalles sieht man ein Einhorn!!! Es ziert das Wappen der Familie Baldung.


Ute: Wie man aus einer nicht-Inspiration eine Geschichte macht

Die Frau mit der Laute blickt sinnierend (oder leer?) vor sich hin. Ich starre sie an, aber sie sagt mir nichts. Mir fällt nichts ein. In meinem Kopf dröhnt nur ein SCHRÄNG! Was tun? Die Kollegen müssen helfen. Wo sind sie nur. Verflixt, der Frauenschuh ist im Basilikum verwelkt. Wer war der Nächste? Der Narr! Der Narr muss helfen. Das kriegt der doch hin, oder? 

Anke: Wenn schon Sound, dann auch richtig …

Die Lautenspielerin kam ins Haus. Und was kam mir als Erstes in den Sinn? Natürlich: sie muss auch Laute spielen! Leider kann ich kein Instrument spielen. Der Mann aber spielt Klavier. Und da traf es sich, dass man an seinem E-Piano auch einen Guitar-Sound einstellen kann. Gut, das ist jetzt ein bisschen Fake, aber der Zweck heiligt die Mittel. Und so entstand eine kleine Melodie, die ich der Snippet-Frau zugeordnet habe. Sie spielt an verschiedenen Orten bei mir zu Hause und ich stellte mir vor, dass diese Lautenspielerin vielleicht aus einem Bild entsprungen ist, wo sie einer feinen Gesellschaft zum Essen aufspielt. Und dann kam der Tisch ins Spiel, der auch noch als Snippet bei mir auf dem Schreibtisch lag. Ute hat dann – wie man oben sehen kann – die ganze Phalanx der Snippets am Ende zu einem großartigen Finale auflaufen lassen.

Das ist überhaupt das Schönste an diesem #wastingtimewithart gewesen. Das man Dinge miteinander kombinieren kann, die ursprünglich in anderen Zusammenhängen stehen. Dieses Remixen hat mir unendlich viel Spaß gemacht. Ich habe immer schon gerne den Dialog der Künste genutzt – also Bilder mit Text und Ton kombiniert. Ich denke, dass darin wirklich viel Potenzial für die Vermittlung liegt, wenn man sich mal abseits der ausgetretenen kunsthistorischen Pfade bewegt. Ein Gewinn, wenn man dafür Material bekommt, das das auch anregt.

Das gefakte Lautenspiel 🙂

Wibke: Es ist alles eitel

Ich erwachte morgens um fünf Uhr. Ich lag im Zelt in der Eifel. Regen tropfte aufs Zeltdach. Ringsum ein fulminantes Vogelkonzert. Der Klang, der Moment, das Flüchtige, das bleibt, in mir. Ich griff zu meinem Mobilgerät und tippte diesen Text in den digitalen Notizblock:

„Hörst du die Musik? Sie ist da, im Hier und Jetzt. Sie erfüllt dich. Ihr Klang verhallt. Doch in dir bleibt er. Du wirst dich immer daran erinnern.“

Die Lautenspielerin selbst zerfällt in diesem Moment in einer Pfütze. In dem ersten kostbaren Regen seit Wochen. Die Lautenspielerin, mein papierner Kunstschnipselgast aus der Kunsthalle Karlsruhe, der letzte in einer Reihe #wastingtimewithart. Acht Wochen, in der Kunst mich in meinem Leben besuchte und Dinge mit mir anstellte. Oder war es andersherum? Meine #kunsthalleathome.

Musik, Kunst, Kreativität sind mitunter flüchtig. Und manchmal vermögen sie einen Menschen in dieser Begegnung auf immer verändern. Manchmal erkennt man etwas von sich selbst, vertraut oder fremd, manchmal fühlt man sich der Welt anders verbunden. Der Blick ein anderer.

„Der hohen thaten ruhm muß wie ein traum vergehn. Soll denn das spiel der zeit, der leichte mensch bestehn?“ (Andreas Gryphius, 1637)

Alles ist eitel, alles vergeht. Und das heißt auch: Alles bleibt in gewisser Weise in der Welt. Und sei es als Gedanke oder Gefühl.“

(Die Zeile aus dem Gedicht Es ist alles eitel von Andreas Gryphius schlug ich allerdings zuhause nach.)

In gewisser Weise fand mit diesen Gedanken #wastingtimewithart in mir einen Abschluss. Acht Wochen, in denen ich mich von Kunstschnipseln heimsuchen ließ. Acht Wochen, die wie im Nu vorüber scheinen.

Aber das hier, das bleibt.


„Schlafe, mein Kind“

Das Bild stammt von Marguerite Gérard und hat den Titel „Schlafe, mein Kind“. Sie malte es 1788.

Google-Bildersuche hat ergeben, dass es als CD oder Plattencover genutzt wird 🙂

Marguerite gehörte zu den bekanntesten Malerinnen ihrer Zeit – den Namen hört man aber seltener als den von z.B. Angelika Kauffmann.
Sie erhielt Unterricht bei Jean-Honoré Fragonard (er war ihr Schwager). Sie stammte aus dem berühmten Grasse (Parfüm!!!). Lebte später im Louvre. Durch den Kreis um Fragonard kam sie an lukrative Aufträge und so konnte sie für sich selber sorgen und musste nicht heiraten! Eines ihrer Bilder wurde sogar von Napoleon gekauft (Die Güte Napoleons – so der Bildtitel).
Sie ist dem Klassizismus zuzuordnen. Ihre Spezialität sind solche kleinen Alltagsszenen mit Familie und immer wieder gerne auch irgendwelchen Instrumenten. Erst nach der Revolution (!!!) durften Frauen auch im Salon ausstellen und Marguerite hatte viel Erfolg! Sie probierte auch Radierungen aus und konnte so eine neue Verbreitungsquelle auftun.


Wie geht es weiter?

6. Juni 2020 – Wir haben nun acht Wochen lang Zeit mit den Kunstschnipseln aus der Kunsthalle Karlsruhe gespielt und unsere Inspirationen, Assoziationen und Ideenfindungen hier dokumentiert. An dieser Stelle dürfen wir hier schon einmal auf eine Website hinweisen, die die Kunsthalle Karlsruhe in den nächsten Wochen online stellen wird. Wir durften schon mal eine kurze Demo sehen und das Ganze wird ganz wunderbar. Es gibt dazu einen sehr neugierig machenden Trailer.

 

Die Kunsthalle Karlsruhe sagt dazu: In wenigen Wochen geht der erste Baustein des Projektes Art of online: Hier können dann unter dem Motto Art of Wasting Time zur Stimmung, Persönlichkeit oder zu aktuellen Trends passenden Werke und Werkdetails erkundet und daraus eigene Moodboards generiert werden. Kreativ mit den Snippets umgehen kann man in dem wenige Wochen später live gehenden Teilprojekt Art of Creating Stuff, in dem eigene Bilder gestaltet und – wenn gewünscht – auf Produkte gebracht werden können.

Folgt der Kunsthalle Karlsruhe auf Twitter, Facebook oder Instagram, um den Start nicht zu verpassen.


Hinweis: Diese Aktion ist eine bezahlte Kooperation mit der Kunsthalle Karlsruhe.

 

 

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10 thoughts on “Wenn zuhause die Kunst einzieht: #wastingtimewithart #kunsthalleathome
  1. Gefällt mir sehr! Ich liebe dieses Sprühen von Kreativität, das sich an diesen Schnipseln „entzündet“ – es macht Lust darauf, selbst etwas zu machen oder auch ganz neu auf Schnipsel udn Kunst zu schauen.

    1. Liebe Petra,
      mit Papier und Schnipseln kennst du dich ja aus 🙂
      Uns freut es total, wenn wir Lust machen, selber was zu probieren.

  2. Wow, ich bin so begeistert von deinem Blog und der Frauenschuh mit den Schnipseln ist so eine gute Idee.
    Ich werde mir das auch überlegen, sowas zu machen und danke für die Anregung.

    Liebe Grüße Eva

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