Allgemein Hausbesuch

Der Realität den Rücken kehren, sich dem zuwenden, was wirklich ist: Eine Begegnung mit Miró in Mons

Miró? Klar, kenne ich! Oder?

Joan Miró teilt das Schicksal vieler berühmter Maler*innen: Man glaubt, ihn zu kennen. Da gab es Bilder im Kalender, Postkarten, vielleicht ein Plakat. Das Offensichtliche verstellt indes den Blick auf die Kunst und insbesondere auf den, der oder die diese Kunst schuf. Und so kam ich, Wibke, verblüfft aus der Ausstellung, die am 8. Oktober im wallonischen Mons eröffnete. Reicher um eine Begegnung, mit einem Menschen, der sich in seinem Leben liebend gern inspirieren ließ, seinen Ausdruck erforschte, ausprobierte, sich auseinandersetzte und in allem, was er fand und was ihn inspirierte, etwas entdeckte, was er seiner Kunst hinzufügte. Wodurch sie wiederum zur Inspiration für andere wurde, leuchtende Webkunst von Eigenem und Anderem und zwischen den Fäden die Welt.

Während ich durch die Ausstellung ging, hatte ich Else Lasker-Schüler auf den Lippen:

Deine Seele, die die meine liebet,
Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet.

Strahl in Strahl, verliebte Farben,
Sterne, die sich himmellang umwarben.

Unsere Füße ruhen auf der Kostbarkeit,
Maschentausendabertausendweit.

Doch bevor ich mich in der poetisierenden Wirkung dieser Ausstellung verliere, erzähle ich, wie es überhaupt zum Besuch kam. Barbara Buchholz von Belgien-Tourismus Wallonie versendete eine Einladung zur offiziellen Pressebesichtigung im Museum Beaux-Arts Mons. Verbunden war der Besuch mit einer Anreise mit dem Thalys, einer Übernachtung in Mons und der Möglichkeit, die Hauptstadt der wallonischen Provinz Hennegau zu erkunden. Ihr erinnert Euch vielleicht an unsere #KultourWallonie Anfang Mai, von der wir auf allen Kanälen und hier im Blog beglückt erzählten. Seitdem entflammt für den französischsprachigen Teil Belgien, nutzte ich die Möglichkeit, für zwei Tage in die Wallonie zu reisen. Mich dürstete nach Kunst und französisch geprägter Kultur in einer Stadt, die kaum zwanzig Kilometer entfernt von der französischen Grenze liegt.

Joan Miró? Ein Katalane in der Wallonie? Nichts wie hin, zumal mir dieses Zusammentreffen geradezu prophetisch vorkam. Katalonien ist mir als nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung strebende Region nicht zuletzt durch Books and Roses (Sant Jordi) und Barcelona als Partnerstadt von Köln seit Jahren ein Begriff.  Dann ist Spanien Ehrengast der Frankfurter Buchmesse – und meine Buchladen-Kollegin Heike war in Madrid.

Kurz und gut: Ich stieg an einem Oktoberdonnerstag in den Zug und fuhr nach Mons, zu Miró! Über die Reise und Mons selbst erzähle ich bei mir im Blog noch etwas. Heute und hier widme ich mich dem Museum Beaux-Arts und der Miró-Ausstellung „L’essence des choses passées et présentes“ – „Die Essenz dessen, was war und ist“.

Bonjour, Wallonie! Dag? Hallo? Sprachenvielfalt in der Wallonie

Keine Angst vor Reisen ins französischsprachige Belgien. Das kleine Land mit wechselvoller Geschichte hat drei Amtssprachen: Französisch, Flämisch (eine barock gefärbtes Niederländisch) und Deutsch. Das deutschsprachige Ostbelgien fällt oft hinten runter, das Verhältnis zu Deutschland ist – historisch bedingt – nicht unkompliziert. Wenngleich sich Letzteres vor Ort und im Umgang miteinander nicht spiegelt. Alle Begegnungen waren so dermaßen herzlich, freundlich und oft auch noch überaus lustig, dass ich mich als Eine, die vielleicht sieben Sätze Französisch spricht und im Alltag selten Gelegenheit hat, andere Sprachen zu sprechen, stets gut aufgehoben fühlte. Wenn es an mündlichen Sprachen fehlte, halfen Hände und Füße.

Die babylonische Sprachverwirrung ist insbesondere in einer so lebendigen und jungen Stadt wie Mons Alltag. Hier sorgen die Uni und internationale Unternehmen wie Google oder Microsoft für Studien- und Arbeitsplätze und länderübergreifenden Austausch. Die dritte Sprache, die daher im Sinne einer europäischen und internationalen Verständigung öfter gewählt wird, ist Englisch. Und so sind alle Wandtexte und die Texte in der Kommunikation größtenteils in französischer, flämischer und englischer Sprache. Größtenteils, denn hier und da gab es dann doch mal was auf Deutsch. Ich erhielt eine in deutsche Sprache übersetzte, ausführliche Pressemappe, die mir das Verständnis erleichterte.

Poesie, Postkarten und primitive Kunst

Die Ausstellung erzählt in Räumen wie Kapiteln die Entwicklungen von Miró. Es war ein reiches Leben von seiner Geburt im Jahr 1893 in Barcelona bis zu seinem Tod 1983 in Palma de Mallorca. Sein Leben und seine Kunst zeugen vom 20. Jahrhundert mit seiner enormen gesellschaftlichen, politischen, technologischen und künstlerischen Dynamik. Dynamisch wie er selbst: Reisend, wissen wollend, forschend, den Austausch mit anderen suchend, die Auseinandersetzung mit sich selbst suchend. Mich sprach sehr an, wie in der Ausstellung auch seine Liebe zur Lyrik und zum Geschriebenen sichtbar wird, seine Bücher, die Postkarten, die er an andere schrieb, oft von Museumsbesuchen erzählend oder mit einem Kunstmotiv auf der Vorderseite. Zeilen aus seinen Briefen und Postkarten finden sich auf die Wände der Ausstellung eingestreut. Und so spricht Miró selbst zu seinen Besucher*innen. Hier und da sind wandfüllende Fotografien vom Künstler selbst zu sehen. Seine anregende Präsenz in Wort und Bild verband mich mit seinen Bildern und Plastiken. Mirós Forschungsreisen durch verschiedene Techniken und Stile erhalten hierdurch eine erstaunliche Plausibilität.

1956 wurde zuletzt die Kunst von Joan Miró in Belgien gezeigt, damals in Brüssel. Es ist eine beachtliche Werkschau, die einen in ihrer Fülle durchaus erschlagen kann. Vielleicht ist es kein Zufall, dass eins der Werke Mirós ein Buch von Goethe zeigt. Beiden gemein mag sein, dass sie mit ihrem Schaffen Türen öffnen zu Kunst, Literatur, Naturwissenschaft – Einladungen, hinzusehen, sich zu interessieren, sich in aller Wertschätzung und voller Lernfreude zu öffnen.

Durch die Ausstellung führt die Kuratorin, Dr. Victoria Noel-Johnson, der man ihre Liebe zu Miró und seiner Kunst in jedem (in hinreißend schönem Englisch) gesprochenen Satz anmerkte. Eine Liebe, die sich mir mitteilte. Wenn Ihr die Ausstellung besuchen möchtet: Verbindet den Besuch doch am besten mit einem Besuch in Mons und seid dort zwei, drei Tage. Man stellte im Verlauf der Pressebesichtigung bei allen Beteiligten eine Erschlaffung fest, was weniger an der Ausstellung lag, sondern an dem Reichtum an Eindrücken und Erfahrenem. Hier kann man durchaus zweimal reingehen – und in Mons durchaus länger bleiben. Aber dazu dann wie versprochen an anderer Stelle mehr.

Die Ausstellung ist noch bis zum 8. Januar zu sehen.

Die Storys bei Instagram zu #monsmiro.

Lest unbedingt auch, was Anke in ihrem Blog über Mirò schrieb.

Luft und Liebe

Ans großzügige, luftige Foyer des Museums angeschlossen ist übrigens ein sehr schöner kleiner Leseraum, in dem man in bereitgelegter Lektüre in verschiedenen Sprachen blättern und sich in Ruhe hinsetzen kann. Für Kinder gibt’s Spielkram. Ein Ort zum Ausatmen. Das kann man aber auch gut in der Ausstellung selbst: Nicht unerwähnt bleiben sollen die Sitzgelegenheiten in fast jedem Raum. Und wer frische Luft braucht: Hinter dem Museum befindet sich ein sehr schöner Garten, auch mit Sitzgelegenheiten. Den Garten zeigte mir einer der gut gelaunten Mitarbeiter des BAM. Er erzählte mir auch, dass sie demnächst für eine Weile schließen werden, um ein gegenüberliegendes historisches Gebäude einzugemeinden. Dort entsteht ein Museum zur Stadtgeschichte, das mit dem BAM verbunden wird. So kam es zumindest bei mir an, denn es war ein Gespräch in vielen Sprachen und mit viel Lachen.

Das Museum Lab muss ich mir mal näher ansehen.

Alle Informationen gibt es auf der Website des Museum Beaux-Arts Mons. Bei Visit Mons findet Ihr ebenfalls Informationen zur Stadt und zur Ausstellung. Bei Fragen zu Mons oder zur Reise in die Wallonie zögert aber nicht, die freundlichen und hilfsbereiten Menschen von Tourismus Belgien-Wallonie zu kontaktieren, selbstverständlich auch in deutscher Sprache. Sie erreicht Ihr auch in Social Media: Instagram, Twitter und Facebook. Es gibt auch einen sehr feinen und unterhaltsamen Podcast: Bonjour Wallonie.

Die Pressebesichtigung fand mit Reden zu Beginn und im Beisein von Nicolas Martin (Bürgermeister von Mons), Catherine Roudart (Kulturschöffin/-beigeordnete), Victoria Noel-Johnson (Kuratorin der Ausstellung), und Xavier Roland (Direktor des BAM) statt. Sie war rege besucht, unter anderem sprach ich kurz mit Journalist*innen aus Paris und London. Alles war tipp-topp organisiert und zum Schluss gab’s belegte Baguettes und Getränke. Merci!

Hinweis zur Transparenz

An dieser Stelle der Hinweis, dass ich auf Einladung von Tourismus Belgien-Wallonie unterwegs war. Alle Reisekosten wurden mir erstattet, meine Meinung bliebt davon insofern unbehelligt, dass ich Kritik nicht verschweigen und ich nichts lobend erwähnen würde, wenn es nichts zu loben gäbe. Vielleicht an dieser Stelle eins: Wer schlecht zu Fuß ist oder auf den Rollstuhl angewiesen ist, wird von Mons nicht so begeistert sein wie ich. Denn barrierefrei ist die Stadt nicht, was an der historisch gewachsenen und erhaltenen Beschaffenheit der Straße liegt (Kopfsteinpflaster) und viele Häuser verfügen über einen Treppenabsatz. Im Museum erschien mir das berücksichtigt, aber dorthin muss man ja auch erstmal kommen.

Das Licht war zum Fotografieren mit Smartphone im Museum übrigens nur so halb gut. Aus Rechtesicht super, aber dafür sind die Fotos nur so halb gut. Ich denke, für einen Eindruck muss es genügen. Fahrt hin und schaut selbst!

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