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Vom Ich zu Anaïs Nin und wieder zurück: Die digitale Welt als Bühne

Ich gehe in mich, um herauszukommen.“ Anaïs Nin war bis vor wenigen Tagen eine Fremde für mich. Ihr Name war mir bekannt, ja. Einst las ich etwas über sie, aber nur im Zusammenhang mit Henry Miller. Von dem ich wiederum einiges gelesen hatte. Es heißt, Anaïs Nin sei eine Kultfigur für viele Frauen. Das klang mir immer nach zuviel Befindlichkeit und ich wendete mich ab. Wie störend doch solche Etikettierungen sein können.

„Skandalumwitterte Muse“ zieht bei mir viel besser. Damit sprang nämlich Marc Lippuner herbei und wedelte bei den Kulturfritzen mit #ichbinnin. Es geht um DIE MÄNNERSPIELERIN, Anaïs Nin, Theater im Netz und um Selbstinszenierung. Mit der Gestaltung des Ich im digitalen Raum beschäftige ich mich schon seit einer Weile. Dass die Aktion mit dieser Künstlerin quasi wie gerufen kam, offenbarten mir ihre Texte, Fotos und Audioaufnahmen und die Texte über sie.

Das Spiel mit der Inszenierung des Ich

Ich finde einen Menschen, der sich unermüdlich selbst erforschte und in Frage stellte. Auf Momente der Selbstgewissheit folgten viele des Zweifels und der Verzweiflung. Sie suchte ihren Platz in der Welt und wollte gesehen werden. Bemerkenswert finde ich, dass Henry Miller sie als „zurückhaltenden Menschen“ beschrieb. Das gefällt mir. Es kommt mir wie ein Missverständnis vor, dass Menschen, die in Texten, Musik und Kunst ihren Ausdruck suchen, von anderen oft als extrovertiert oder entäußert verstanden werden. Ich habe eher den Eindruck, dass es ebenjener Zurückhaltung oder vielmehr Sammlung bedarf, um diese Form der Auseinandersetzung mit sich und der Welt zu ermöglichen.

Eine Inszenierung ruft Reaktionen hervor. Ob ich mich für einen bestimmten (oder bewusst keinen) Modestil oder eine Frisur entscheide: Es ist eine Inszenierung des Selbst. Bestenfalls entspricht diese Inszenierung dem Selbstbild und ich werde von anderen so wahrgenommen, wie ich es mir wünsche. Dass das Spiel mit Inszenierungen als jemand anderes mich näher zu mir selbst bringen kann, ist mir durch Ute und ihre Bilder und Geschichten vom Theater bewusster geworden. Ihre Selbstinszenierungen bei Instagram oder Vine inspirieren mich immer wieder zum Freispielen. Wie jetzt: Bin ich Nin? Was habe ich mit Anaïs Nin zu tun? Was sie mit mir? Ich näherte mich an.

Seitdem ich den digitalen Raum bewohne, taste ich mich vor. Ich stelle Fragen. Nicht offensichtlich, aber indem ich etwas mache oder laut denke und es veröffentliche. Ich spiele mit fiktiven Elementen und schicke #printtwitter und Lakritzel ins Rennen. Ich stelle damit auch Fragen nach mir selbst. Im digitalen Raum, in meiner Schaubühne, kann ich alles sein: Regisseurin, Autorin, Schauspielerin, Technikerin, Bühnenbildnerin – und Publikum. Manchmal renne ich aufgekratzt zwischen diesen Rollen hin und her, verharre in einer Rolle oder bin gar alle zugleich.

Aber es ist mein Spiel. Ein Spiel, in dem ich etwas über mich selbst und die Welt lerne. Ein Spiel, das ich mit anderen spiele, die wiederum ihr Spiel machen. Und am meisten Freude macht es, wenn sich diese Spiele gegenseitig ergänzen oder befruchten. Oder wenn ein unerwartetes Element hinzukommt. Homo ludens – der spielende Mensch. Damit begrüße ich Johan Huizinga und Friedrich Schiller in dieser Runde. Insbesondere von Schiller habe ich viel über die Bedeutung des Spiels für die ganzheitliche Entwicklung als Mensch gelernt: Ich bin nur da ganz Mensch, wo ich spiele. Im Spiel inszeniere ich. Ich inszeniere Räume und mich.

„Wir sehen die Dinge nicht so, wie die Dinge sind. Wir sehen sie so, wie wir sind.“ (Anaïs Nin)

Marc hat viele kluge Fragen gestellt, von denen ich zwei aufgreife:

Wieviel aus meinem Leben erzähle ich in den sozialen Netzwerken und warum?

Ich erzähle das Nötigste. Ich erzähle das, was nötig ist, um mich, mein Tun und meine Haltung nachzuvollziehen. Ich möchte, dass die Menschen mich einschätzen können. Das gibt mir die Freiheit, hin und wieder zum Mittel der freundlichen Verstörung greifen zu können. Das gibt mir die Freiheit, den Menschen auch jenseits des Digitalen unbekümmert begegnen zu können. Denn sie wissen dann (hoffentlich), worauf sie sich einlassen.

Warum machst Du Selfies? Warum stellst Du sie ins Netz?

Ich beobachte den Popanz um Selfies, denen sich jüngst allein drei Ausstellungen in Museen widmeten. Selfies als Kommunikationsmittel, Selfies als Kunstform, Selfies als „Ich war hier“, Selfies aus Langeweile, Selfies als … Selfies. Ich schrieb im letzten Jahr etwas dazu. Ich mache Selfies hin und wieder gern, um etwas zu erzählen oder eine Situation zu veranschaulichen. Fast alle Porträts, die von mir im Social Web zu finden sind, sind Selfies. Was daran liegt, dass ich erstarre, sobald sich das Objektiv einer Kamera auf mich richtet. Selfies ermöglichen es, mir selbst auf die Schliche zu kommen. Und sie dienen letztlich der Kontaktaufnahme. Es ist aber eine Frage der Dosierung (und der Inszenierung). Unter Dauerselfiebeschuss nimmt der Wunsch nach Kontakt rapide ab. Insofern streue ich Selfies nur vorsichtig. Für Außenstehende ist allein das Machen von Selfies seltsam, weil man den eigenen Ausdruck oft überbetont. Um verstanden zu werden. Die Emojiiesierung des Selbst, sozusagen.

Auch Texte können natürlich Selfies sein. Jeder sollte sich selbst fragen, welche Art von Gesprächen er im digitalen Raum führen möchte: Selbstgespräche oder Gespräche mit anderen Menschen. Das ist keine Wertung. Auch Selbstgesprächen zu folgen kann faszinierend sein. Was Anaïs Nin in ihre Tagebücher schrieb, waren zunächst nichts anderes als Selbstgespräche, eine Bewahrung ihrer selbst. Auf die ich nun nicht mehr verzichten möchte.

2016-01-27 20.08.55

Seid Ihr Nin? Inszeniert Ihr Euch bewusst? Unbewusst? Wie nehmt Ihr andere wahr? Die Beschäftigung mit Anaïs Nin ist eine Gelegenheit, sich mit dem digitalen Ich auseinandersetzen. Spielt. Experimentiert. Zitiert. Remixt! #IchbinNin ist ein bisschen Blogparade, ein bisschen Festival (“Jede*r ist ein*e Künstler*in und ein*e Remixer*in.”), ein bisschen Instagram-Challenge.

Wir werden immer das Böse in der Welt haben, aber das ist kein Grund, sich zurückzuziehen.

 

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